Galgenweg
gemessen hatte. Er hockte auf dem Rand des Schreibtischs und kritzelte etwas auf seinen Rezeptblock, während ich das Hemd zuknöpfte und die Ärmel herunterrollte. »Sind Sie in letzter Zeit ungewöhnlichem Stress ausgesetzt gewesen?«
Ich antwortete nicht, doch mein Blick sagte ihm wohl alles, was er wissen musste; er runzelte die Stirn. »Verstehe.« Dann stand er auf und riss das Rezept vom Block.
»Das sind Betablocker. Die regulieren Ihren Herzschlag ein bisschen. Vielleicht bekommen Sie nie wieder so einen Anfall, vielleicht bekommen Sie aber auch schon im Auto auf dem Heimweg den nächsten. So funktionieren die. Eigentlich gibt es nichts, wovor Sie Angst haben müssten – Ihr Körper schießt nur Adrenalin ins Blut, obwohl es eigentlich nicht gebraucht wird. Wenn es unerträglich wird, nehmen Sie die hier. Sie lassen die Panik nicht verschwinden. Aber sie entschärfen die Attacke ein bisschen und geben Ihnen die Chance, sie durchzustehen.«
»Danke«, sagte ich, aber meinem Tonfall musste er wohl entnommen haben, dass ich nicht ganz glücklich über diese Tabletten war.
»Alternativ können Sie auch ein paar Mal tief durchatmen, langsam und regelmäßig. Das hilft Ihnen, sich zu entspannen.«
Ich dankte ihm und nahm das Rezept. »Übrigens, wo ich gerade bei Ihnen bin … ich hätte da mal eine Frage, John. Es geht um etwas, das in einem anderen Fall aufgetaucht ist. Auch ein Herzmedikament, glaube ich. ›Gyno?‹«
Mulrooney lächelte matt. »Sind Sie sicher, dass das ein Medikament ist?«
»Anscheinend hat es etwas mit dem Herzen zu tun. Hat man mir gesagt.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«, fragte er, aufrichtig verwirrt.
»Ein Drogendealer von hier. Er hat gesagt, Gyno wäre etwas, das meinem Herzen sehr nahe sei. Ich dachte, es handelt sich um ein Herzmedikament.«
Er versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. »Ach herrje, Ben. Gyno ist kein Medikament. Das ist eine Abkürzung für Gynäkomastie.«
»Was zum Teufel ist Gynäkomastie?«, fragte ich, verlegen über meine Unwissenheit wie auch darüber, dass Lorcan Hutton sich einen Scherz auf meine Kosten erlaubt hatte, ohne dass ich es auch nur bemerkt hatte. Mag sein, dass ich unwillkürlich die Arme vor der Brust verschränkte.
»Brüste bei Männern«, erklärte er und bemühte sich, den Blick nicht auf meine Brust zu senken. »Ihr Drogendealerfreund hat Sie verarscht, Ben.«
»Das war im Zusammenhang mit gestohlenen Medikamenten«, erklärte ich. »Tamoxifen, glaube ich. Ein Brustkrebsmedikament.«
Sein Lächeln erstarb, und er nickte ein wenig ernsthafter. »Nun, das ergibt eher einen Sinn. Ich habe noch nie davon gehört, dass es gegen Männerbrüste eingesetzt wird, aber theoretisch ginge das. Ich überprüfe das, Ben, und dann melde ich mich wieder bei Ihnen.«
»Danke, John«, sagte ich, wandte mich ab und ging.
Als ich die Praxistür öffnete, rief er mich noch einmal zurück. »Ach, und Ben: Versuchen Sie, sich zu entspannen. Wenn Sie ein bisschen Zeit für sich brauchen, schreibe ich Sie krank.«
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich glaube, ich werde in nächster Zeit gezwungenermaßen kürzer treten.«
Wenigstens beschleunigten die Ereignisse des Tages das Tauwetter im heimischen kalten Krieg. Debbie erbleichte, als ich ihr berichtete, wie wir Kerrs Leiche vorgefunden hatten, und sie war aufrichtig besorgt, als ich ihr von meiner Panikattacke und meinem Besuch bei Mulrooney erzählte. Sie nahm mir die Betablocker ab, las den Beipackzettel und prüfte die Nebenwirkungen, zu denen Kreislauf- und Atembeschwerden gehörten.
»Glaubst du, die brauchst du wirklich, Ben?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »John hat gesagt, ich soll die nehmen, wenn ich wieder einen Anfall bekomme.«
Debbie nickte bedächtig, dann legte sie die Tabletten hin. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Das National Bureau of Criminal Investigation wird vermutlich ein Team zu uns raufschicken, das an dem Fall arbeiten wird. Vielleicht unterstütze ich die Leute bei ihren Ermittlungen – vielleicht schiebt man mich aber auch beiseite.«
»Nichts davon ist deine Schuld, Ben«, sagte sie sanft. »Ich weiß, ich habe gestern ein paar Sachen gesagt – aber in diesem Fall, das liegt alles nicht an dir.«
»Costello hatte mir befohlen, dass ich Kerr zurück in den Norden schicken sollte; das habe ich nicht getan. Ich habe ihm sogar Geld gegeben und ihm gesagt, ich würde ihm vertrauen.«
»Das hat ihn nicht umgebracht.«
»Doch, das hat
Weitere Kostenlose Bücher