Galileis Freundin (German Edition)
äußern oder sogar noch zu Papier zu bringen. Doch scheint mir die Sehnsucht zur Wahrheit größer und unbänd i ger, als stets dieses Schweigen an den Tag zu legen. Was ich Euch mit meinen Worten bede u ten will, hoher Freund, ist allein mein Verständnis für Eure Situation. Daneben mein Unve r ständnis für die Verbannungen, die von der Kirche ausgesprochen werden, wenn ein geistiger Mensch seine Erkenntnisse aus der Erforschung der Welt kundtut und sie zu Papier bringt.
Doch kamen uns, guter Freund, ganz andere Zweifel zu Ohren, Zweifel der Heiligen Römischen Kirche an Euren Schriften. Es sind die Zweifel an Eurem guten Glauben. Die Häresie in der Eucharistie soll man Euch vorwerfen. Man sagt, Ihr hegt Zweifel an der Transsubstantation, an der Wesensverwandlung von Wein und Brot in das Blut und das Fleisch Christi. Im 'Saggiat o re' sollt Ihr die Zweifel an dieser Transsubstantation geäußert haben. Alle anderen Vorwürfe, wie den des Kopernikanismus, habe man Euch nur deswegen gemacht, um Euch vor der A n klage der Häresie zu schützen. Denn dies hätte Tod und Verbrennung bedeutet. Was ist nun die Wahrheit mein gelehrter Freund? Werden wir sie an späteren Tagen jemals ausfindig m a chen? Oder wird es für uns immer ein Geheimnis bleiben, wegen dessen man Euch angeklagt hat?
Mit meiner einzigen Freundin im Kloster, Julia, Markgräfin von Lucca, habe ich in meiner Ze l le, eben auch in der Verbannung, an vielen trostlosen Abenden den Saggiatore besprochen. Der Streit gewann selbst unter uns Freunden an Heftigkeit. Doch scheint auch mir Eure Aussage in diesem Meisterwerk als sehr gelungen. Vielleicht bin ich ja, mein geehrter Freund Galilei, durch die vielen Gespräche, die ich bereits in jungen Jahren mit Euch geführt habe, in meiner Gedankenkonstruktion ein ordentlicher Anhänger nicht nur Eurer Lehre sondern sogar ein Verfechter Eurer Welt geworden. Mir allemal erscheint Eure Aussage über die Transsubstant a tion als recht vernünftig. Wollte man Euch wegen dieser Aussage verurteilt haben, so ist es mir ebenso unvernünftig, als wenn man sagte, man habe Euch wegen der kopernikanischen Lehre, die ihr zu beweisen trachtet, verurteilt.
Wie weh muss es Eurem Herzen sein, die Entdeckungen, die Ihr selbst mit Fernglas und Eurem mathematischen Genie berechnet habt, die Erkenntnisse des Kopernikus, vor dem heiligen O f fzium abschwören zu müssen.
Doch hoffe ich, dass Ihr Euch besserer Gesundheit erfreut. Vernahm ich doch erst letzthin Eure körperlichen Leiden.
Das, was mir in meiner Seele am ehesten weh tut, ist nicht die Verleugnung Eurer Erkenntni s se, mein hochgeschätzter Freund, es sind die Gespräche und das Disputieren über Eure E r kenntnisse, das ich vermisse. Wie es das Schicksal gewollt hat, sind gerade wir beiden in die Verbannung geschickt worden. Es ist, als wollten einige Kleriker verhindern, dass Galilei und die Gräfin Picchena gemeinsam über die neuen Erkenntnisse disputieren kö n nen. Doch schätze ich meine Stelle nicht so hoch ein, als habe jemand vor meinen Gedanken eine Angst.
Die Freiheit meiner Gedanken sende ich zu Euch. Ich hoffe auf ein paar Worte aus Eurer F e der, und dass ich mich an einigen Eurer wertvollen Gedanken ergötzen könnte, um mein Leben erneut erblühen zu lassen mit der Nahrung aus Euren geistigen Quellen.
So lebt denn wohl und schenkt Eurer kleinen Freundin aus dem Hause der Picchena einige wertvolle Worte, die uns niemand nehmen könnte.
Stets in tiefer Verehrung, Eure Caterina Picchena."
Viele Tage waren vergangen. Eine Antwort des großen Gelehrten blieb aus. In dunklen Näc h ten, bei unruhigem Schlaf, machte sie sich Vorwürfe. War ihr Brief von den Häschern der I n quisition abgefangen worden? Musste Galilei längst unter den Aussagen in dem Brief leiden. Würde sie selbst bald bestraft werden wegen häretischer Äußerungen? Zu anderen Zeiten ve r zweifelte sie an den Gedanken, ihr Freund sei vollständig erblindet. Er könne weder einen Brief lesen, geschweige denn einen schreiben. Die Gedanken an den Astronom verschafften ihr indes nur geringe Linderung ihrer Qualen und ihrer Sehnsucht nach dem Mann aus der Provence. Oft erschien ihr im Traum der Held aus Aix wie das leuchtende Symbol ihres personifizierten Fre i heitsstrebens. Die Unruhe in ihrem Warten auf die Antwort des Gelehrten aus Arcetri wurde bald von dem Boten ihres Briefes selbst beendet.
„Verehrteste Gräfin Picchena, meine Botschaft, die ich euch zu übermitteln
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