Galileis Freundin (German Edition)
da stemmte sich ein Bauerngaul in der Kehre ‘San Martino’ zwischen die Führenden. Die Fantini peitschten aufeinander ein, versuchten sich vom Pferd zu stürzen. Ein wildes, mörderisches Jagen nach Geld und Gold, nach Ruhm und fadenscheinigem Glück ließ die Reiter in einen rücksichtslosen, brutalen Kampf, jeder gegen jeden, versinken. Wer schließlich gewann, hatte kein Herz für den Verlierer. Am Ausgang der viel zu engen Kurve ‘San Martino’ donnerte ein Reiter gegen die grob behauenen Bretter der Absperrung. Das braunschwarze, schlanke Pferd verweilte verwirrt an dem hohen Gatter. An dem schmalen Kopf des Barbero klaffte unterhalb des Auges ein scheußlicher Riss . Verstört und schmerzvoll tanzte das Pferd im Kreise. Die Gaffer johlten, so, wie die Menge bei anderer Gelegenheit dem Feue r tod eines Ketzers zujubelte. Mal erstarrte die Menge vor Ergriffenheit über den Mut eines rücksichtslosen Draufgängers, mal war sie hingerissen und aufgewühlt bei dem Todessturz eines Pferdes. Gewaltiger als alle Balladen und Heiligenlieder, dramatischer als die verda m menden Predigten der Bettelmönche wurde die Meute der Menschen erfasst von den Leide n schaften und unbeugsamen Kämpfern zu Pferde.
Caterina schlug für einen Augenblick entsetzt die Hände vor die Augen. Je mörderischer das Rennen wurde, desto tobsüchtiger schrieen die ‘Contradaioli’ ihr Glück, ihr Entsetzen oder i h ren Hass aus dem Leibe. Nur noch eine wogende, brüllende Masse tobte im Innenraum. Es ging um Leben und Tod. Es ging um Ehre und Stolz, um Anerkennung, Verachtung und Hass . Wie blutrünstige Soldaten in einer Schlacht rissen die Zuschauer die Mäuler auf, rauften sich die Haare, rissen sich Männer die Hemden vom Leibe. Heiße Wangen, funkelnde Augen, schä u mende Münder jubelten ihrem Fantino zu oder verfluchten entsetzt ihren Reiter.
Die Fantini prügelten aufeinander ein, als gelte es, die höchste Zahl der Verletzten zu erre i chen. Der herrenlose Barbero jagte immer noch an dritter Stelle. Von zehn gestarteten Pferden waren noch sechs im Rennen, eines reiterlos. Zum letzten Mal peitschten die Fantini ihre Pfe r de vorbei an der Capella di Piazza und dem Palazzo dei Nove. Wie die Teufel schlugen die Fantini ihre Pferde. Es ging um Leben und Tod.
Caterina starrte in die Menschenmasse in dem Innenraum. Ihre Gesichter waren verzerrt, die Augen weit aufgerissen. Das Ende der Welt schien nahe. Die Fantini kämpften als fünfter Re i ter der Apokalypse. Da war kein Spaß, da war kein Spiel. Tödlicher Krieg überflutete die ‘Contradaioli’.
Die Fratze des geifernden Abtes spie dem Mädchen erneut ins Gesicht, ließ sie Höllenqualen erleiden. Ihr Hilfeschrei mit weit aufgerissenen Augen und hoch aufgereckten Armen beobac h tete Landgraf Picchena mit wohlwollendem Lächeln. Die mutige Begeisterung seiner Tochter erfreute ihn. Ihre Tränen in den Augen über die Zerstörung ihres Lebens wertete Picchena als Freude über den Sieger.
Die Siegercontrada jubelte. Andere warfen aus Enttäuschung ihre Hüte in den Staub und ze r traten ihre Fahnen. Der Jubel der Sieger übertönte alle Schmerzensschreie. Das siegreiche Bauernpferd wurde umarmt, geküsst , der Fantino in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Eine junge Frau riss ihre Bluse auf und bot dem stolzen Gewinner ihre nackten Brüste an. Ve r lierer wurden beschimpft und aus der Stadt gejagt.
Caterina erlebte den Verkauf ihres Lebens, wie der einsame Wanderer, der aus der letzten Hütte gnadenlos in die eiskalte, stürmische Nacht gejagt wird, seinen Untergang vor Augen sehend. Sie kannte sie nicht, sie ahnte nur die Verhandlungen ihres Vaters, sie ahnte den Verrat an seiner Tochter, sie ahnte die Feigheit des Grafen.
Die Ehe
Das gesamte erworbene Wissen der Welt schien in den bis zur Decke reichenden Regalen der väterlichen Bibliothek verborgen. Vielleicht auch das Glück dieser Welt, wie auch das Leid. Von dem Glück hatte sie noch nicht viel erfahren. Mehr aber von Krankheit, Seuchen und Tod, von Kriegen und Intrigen.
Caterina versuchte durch die wertvollen Ledereinbände der vielen Bücher, Schriften und Mi t schriften von geheimen Gesprächen hindurchzuschauen, um eine befriedigende Antwort auf ihre Fragen zu finden. Die Kernfrage, die sie bewegte, war die Suche nach ihrem Glück, nach eigenen Entscheidungen, nach einem Weg, den sie selbst bestimmen wollte. Sie war nicht wi l lens, den Pfad ihres Daseins als eine Kette von zufälligen
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