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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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offizieller Lagerplatz der nationalen Waldaufsicht mit einer Feuerstelle aus Stein und Picknicktischen und allem, aber vorm Wochenende würde niemand da sein. Ein paar Kilometer entfernt blickte die Ausguckhütte auf dem Tamalpais direkt auf uns herunter. Wir öffneten unsere Rucksäcke und verbrachten den ruhigen Spätnachmittag dösend in der Sonne, oder Japhy lief rum und sah sich Schmetterlinge und Vögel an und machte sich Notizen in seinem Notizbuch, und ich wanderte allein die andere, die Nordseite, runter, wo sich ödes Felsland, sehr ähnlich den Sierras, zum Meer hinstreckte.
    Gegen Abend zündete Japhy ein schönes großes Feuer an und bereitete das Abendessen vor. Wir waren sehr müde und glücklich. An dem Abend machte er eine Suppe, die ich nie vergessen werde und die wirklich die beste Suppe war, die ich gegessen hatte, seit ich in New York ein gefeierter junger Schriftsteller gewesen und im Chambord oder in Henri Crus Küche essen gegangen war. Dies hier war nichts weiter als ein paar Beutel Erbsensuppe, mit gebratenem Schinken, Fett und allem, was dazugehört, in einen Topf Wasser geschüttet und umgerührt, bis es kocht. Es schmeckte herrlich nach Erbsen, volles Aroma, kein bisschen künstlich, dazu der rauchige Schinken und das Schinkenfett, genau das Richtige, was man in der kalten zunehmenden Dämmerung an einem sprühenden Feuer zu sich nehmen musste. Außerdem hatte er beim Rumstöbern so was Ähnliches wie Boviste gefunden, echte Pilze, nicht die schirmförmigen, sondern runde, grapefruitgroße Bälle aus weißem, festem Fleisch, und diese schnitt er in Scheiben und briet sie in Schinkenfett, und wir aßen sie zu gebratenem Reis. Es war ein großartiges Abendessen. Wir machten den Abwasch im murmelnden Bach. Das lodernde, krachende Lagerfeuer hielt die Moskitos fern. Der Neumond guckte durch die Tannenzweige herab. Wir legten unsere Schlafsäcke auf dem Wiesengras aus und gingen früh zu Bett, todmüde.
    «Also, Ray», sagte Japhy, «ziemlich bald bin ich auf hoher See, und du trampst die Küste hoch nach Seattle und weiter durch die Skagit-Gegend. Ich bin gespannt, was aus uns allen wird.»
    Über diesem träumerischen Thema schliefen wir ein. Während der Nacht hatte ich einen lebhaften Traum, einen der klarsten Träume, die ich je gehabt habe, ich sah deutlich einen überfüllten, schmutzigen, rauchigen chinesischen Markt mit Bettlern und Verkäufern und Packpferden und Schlamm und Abfallhaufen und Gemüse zum Verkauf in schmutzigen Tontöpfen am Boden, und plötzlich war von den Bergen ein zerlumpter Hobo, ein kleiner, zerfurchter, brauner, unvorstellbarer, chinesischer Hobo heruntergekommen und stand am Ende des Marktes und begutachtete ihn ausdruckslos, ein wenig belustigt. Er war kurz, drahtig, sein Gesicht von der Sonne der Wüste und der Berge hart und dunkelrot gegerbt; seine Kleider waren nichts als zusammengesammelte Lumpen; er hatte einen Ledersack auf dem Rücken; er war barfuß. Ich hatte solche Leute nicht häufig und nur in Mexiko gesehen, vielleicht, wenn sie aus dem nackten Felsgebirge nach Monterrey reinkamen, Bettler, die wahrscheinlich in Höhlen leben. Aber dieser hier war ein doppelt so armer, doppelt so zäher und unendlich geheimnisvoller chinesischer Tramp, und kein Zweifel: Japhy. Es war derselbe breite Mund, die lustigen, zwinkernden Augen, das knochige Gesicht (ein Gesicht wie Dostojewskis Totenmaske, mit vorstehenden Augenwülsten und einem viereckigen Kopf); und er war kurz und kompakt wie Japhy. Ich wachte gegen Morgen auf und dachte: ‹Alle Wetter, sieht so Japhys Zukunft aus? Vielleicht verlässt er das Kloster und verschwindet einfach, und wir sehen ihn nie wieder, und er wird der Han-Shan-Geist der fernöstlichen Berge, und sogar die Chinesen kriegen vor ihm Angst, weil er so zerlumpt und kaputt aussieht.›
    Ich erzählte Japhy davon. Er war schon auf und schürte pfeifend das Feuer. «Lieg da nicht so faul rum in deinem Schlafsack! Steh lieber auf und hol ein bisschen Wasser.» Er stieß einen lauten Jodelruf aus. «Ray, ich bringe dir Räucherstäbchen vom Kaltwassertempel von Kiyomizu mit und stelle sie eines nach dem anderen in eine große Weihrauchschale aus Messing und mache die richtigen Verbeugungen, was meinst du? Das war vielleicht ein Traum, den du da gehabt hast! Wenn ich das bin, dann bin ich es eben. Und damit basta!» Er holte das Beil aus dem Rucksack und hackte Zweige und brachte ein prasselndes Feuer in Gang. In den Bäumen war noch

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