Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Maitreya bedeutet ‹Liebe› auf Sanskrit, und Christus hat von nichts als Liebe geredet.»
«Ach, fang nicht an, mir das Christentum zu predigen, ich kann mir genau vorstellen, wie du auf dem Totenbett das Kreuz küsst, wie so ein alter Karamasow oder wie unser alter Freund Dwight Goddard, der sein Leben lang Buddhist war und in seinen letzten Tagen plötzlich zum Christentum zurückkehrte. Ach, das ist nichts für mich, ich will jeden Tag stundenlang in einem einsamen Tempel meditieren, vor einer versiegelten Statue von Kwannon, die nie einer sehen darf, weil sie zu mächtig ist. Schlag kräftig zu, Diamant!»
«Wir werden ja sehen!»
«Du kennst doch noch Rol Sturlason, meinen Kumpel, der nach Japan ging, um die Felsen von Ryoanji gründlich kennenzulernen. Er fuhr rüber auf einem Frachter mit Namen Seeschlange , darum malte er auf ein Schott in der Messe ein großes Wandbild von einer Seeschlange und Nixen, zum Entzücken der Besatzung, die alle unheimlich auf ihn standen und auf der Stelle Dharma-Gammler werden wollten. Jetzt besteigt er wahrscheinlich den heiligen Hiei in Kyoto, durch einen fußtiefen Schnee, ganz hoch, wo es keine Wege mehr gibt, steil, steil, durch Bambusdickichte und Krüppelkiefern wie auf Pinselzeichnungen. Füße nass und Essen vergessen, so muss man klettern.»
«Was wirst du überhaupt im Kloster tragen?»
«O Mensch, die übliche Kluft, alte Sachen im Stil der T’ang-Dynastie, lang, schwarz, schlappig, mit riesigen hängenden Ärmeln und komischen Falten, da fühlst du dich richtig orientalisch drin.»
«Alvah sagt, während Leute wie wir uns dafür begeistern, richtige Orientalen zu sein und wallende Gewänder zu tragen, lesen die eigentlichen Orientalen da drüben Surrealismus und Charles Darwin und sind verrückt nach westlichen Anzügen.»
«Ost und West werden sich sowieso begegnen. Denk mal, was für eine große Weltrevolution stattfinden wird, wenn Ost und West sich schließlich begegnen, und wir sind die Leute, die das in Gang bringen können. Denk an Millionen von Leuten auf der ganzen Welt, die mit ihren Rucksäcken in den Hinterwäldern herumwandern und trampen und allen die Botschaft bringen.»
«Das ist ganz ähnlich wie in den frühen Tagen der Kreuzzüge, als Walter der Verarmte und Peter der Eremit zerlumpte Scharen von Gläubigen in das Heilige Land führten.»
«Ja, aber das war alles so europäisches Zeug, finster und mies; meine Dharma-Gammler sollen den Frühling im Herzen haben, wenn die Knospen sprießen und die Vögel etwas Kleines, Frisches fallen lassen, zur großen Überraschung der Katzen, die sie gerade eben noch fressen wollten.»
«Woran denkst du?»
«Ich denk mir Gedichte aus, während ich auf Mount Tamalpais zusteige. Siehst du da vorne, einen schöneren Berg siehst du woanders auf der Welt auch nicht, eine herrliche Form hat er, ich habe den Tamalpais richtig in mein Herz geschlossen. Heute Nacht schlafen wir hinten auf seiner anderen Seite. Spätnachmittag sind wir da.»
Der Marin-Bezirk war viel ländlicher und freundlicher als die raue Sierra-Gegend, die wir im letzten Herbst bestiegen hatten: Sie war voller Blumen, überall Blumen, Bäume, Gebüsch, aber auch eine ganze Menge Gifteichen neben dem Pfad. Als wir an das Ende des hochgelegenen Feldweges kamen, tauchten wir plötzlich in den dichten Mammutbaumwald ein und gingen einer Pipeline nach durch Sumpfniederungen, die so tief lagen, dass die frische Morgensonne kaum dorthin drang, und es war kalt und feucht. Aber es roch nach dem reinen, tiefen, vollen Duft von Fichtennadeln und nach nassen Baumstämmen. Japhy redete an dem Morgen unentwegt. Er war wieder wie ein kleines Kind, jetzt da er draußen auf dem Wanderpfad war. «Das Einzige, was mir an dieser Sache mit dem Kloster nicht passt, ist, dass die Amerikaner da draußen trotz all ihrer Intelligenz und guten Absichten so wenig richtiges Gefühl für Amerika haben und dafür, wer die Leute sind, die hier wirklich auf Buddhismus stehen, und dass sie nichts mit Dichtung anfangen können.»
«Wer?»
«Na, die Leute, die mich da hinschicken und die Sache finanzieren. Sie geben ihr gutes Geld aus für zierliche Gartenkünste und Bücher und japanische Architektur und das ganze Zeug, das sowieso keiner leiden mag oder gebrauchen kann außer reichen geschiedenen Amerikanerinnen auf ihrer Rundreise durch Japan, und eigentlich brauchten sie bloß ein altes japanisches Haus mit Gemüsegarten zu kaufen oder eins zu bauen; dann hätten
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