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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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ihn aus dem Haus klagen!»
    An einer Kreuzung in der Dillenburger Altstadt lässt sie mich aussteigen. Frau Wolf-Zielinski winkt, schenkt mir ein letztes halbes Lächeln und braust weiter. Wohin sie fährt? Nach Canossa. Wie jeden Abend.

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    Kapitel 6
    Rien ne va plus
    (Frankfurt)
    S chon mal vom Frankfurter Applaus gehört? Man krempelt einen Ärmel hoch, bindet sich den Unterarm ab und schlägt mit den Fingern der anderen Hand so lange auf die Ellenbogenbeuge, bis die Venen hervortreten.
    Ich bin zum ersten Mal am Main, und in nur vierzehn Minuten bekomme ich eine Ahnung davon, wie entsetzlich tief der soziale Marianengraben in dieser Metropole ist. Mein Rundgang beginnt am Hauptbahnhof und führt über die Kaiserstraße in die Innenstadt. Nach sechzig Sekunden grüßen die üblichen Dosenbiersäufer, Taschendiebe und Crackdealer. «Money, Money», bettelt eine Frau mit Kopftuch, es folgen Wettbüros, Spielhöllen, Sexshops, Pornokinos und afrikanische Nach-Hause-telefonier-Läden. Ein Pfandhaus verspricht «schnelle und unbürokratische Kredite» und wirbt mit dem Slogan «Eines ist sicher: Gold! Jetzt hier kaufen!». Nach drei Minuten beginnt der Straßenstrich. Ein Mann in Lederjacke führt seinen Kampfhund spazieren, ein Greis mit neongelber Baseballkappe und hellblauer Ballonweste hält etwas anderes an der Leine. Mit der linken Hand zieht er einen Militärjeep aus Plastik hinter sich her, auf dem Fahrersitz hat das Eichhörnchen aus dem Film «Ice Age» Platz genommen, in der rechten Hand balanciert er eine Packung Toffifee. «Guuude!», ruft der Hagere mir zu und wendet sich ab. Nun sind sechs Minuten vergangen. An der Kreuzung zwischen Bahnhofs- und Bankenviertel donnert plötzlich ein mintgrüner Lamborghini über den Asphalt. Welchem Milieu soll ich dieses Batmobil zuordnen? Schwierig. Reichtum und atemberaubend schlechter Geschmack gehen gerne Hand in Hand, da unterscheidet sich der Zuhälter nicht vom Hedgefonds-Manager. In Minute acht werde ich vom gigantischen Schatten des Commerzbank-Towers gefressen und in einen kaffeeduftenden Strom aus Krawatten, Lack, Kostümchen, High Heels und To-go-Bechern gesogen. Er zieht mich durch die kalten Straßenschluchten zwischen den Wolkenkratzern und spuckt mich nach exakt vierzehn Minuten dort wieder aus, wo sich Bulle und Bär gute Nacht sagen. In Mainhattan scheinen Elend und Dekadenz Nachbarn zu sein, aber in welcher Doppelhaushälfte wohnt das Böse? Ich flüchte zurück ins Bahnhofsviertel.
    «Wissen Sie, warum Frankfurt die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in Deutschland ist?», fragt mich der Rezeptionist. «Es sind nicht die Fixer, es sind auch nicht die Kosovo-Albaner, die Hassans oder die Sergejs. Es sind die Banker. Alle großen Kreditinstitute haben ihre deutsche Zentrale hier bei uns. Und wenn die Finanzheinis irgendwo im Land Mist bauen, wird das immer in die Frankfurter Statistik eingerechnet.»
    «Die Verbrecher tragen also schwarze Anzüge?»
    «Herr Gastmann, wahre Gangster gehen in die Politik oder gründen eine Bank.»
    Und wie heißt es noch mal so schön? Alle Hesse sin Verbräschä, denn se klaue Aschebäschä. Klaun se keine Aschebäschä, sind se schlimme Messä-Schdäschä .
    Der Himmel über Frankfurt ist trübe und taucht das deprimierende Ensemble aus Rabattläden, Straßengrau und schmutzigen Fassaden in ein fahles Licht. Doch die Außenwand des Hotels leuchtet orangerot wie mein Elternhaus oder der Kaftan des kleinen Muck, und vor dem messingbeschlagenen Portal stehen Palmen und marokkanische Laternen. Auch mein Zimmer ist ein Traum aus Tausendundeiner Nacht. Auf der auberginefarbenen Samtdecke liegen bunte Kissen, die mit Glitzersteinchen bestickt sind. Ein silbernes Teetablett blitzt über dem holzgeschnitzten Bett, Orchideen blühen auf dem Nachttisch, und verzierte Lampions werfen ein Ornament aus Schatten an die ocker getünchten Wände. Neben den goldgelben Gardinen hängt ein indisches Sorgenfenster aus dunklem Holz. Den ganzen Tag über bleiben seine Läden geschlossen, nur am Abend öffnet man es, schaufelt den Seelenschutt hinein und schließt es wieder. Der kleine Kasten soll verhindern, dass Kummer und Leid nachts über die Bettdecke krabbeln.
    Gestern Abend erzählte ich dem Fenster von meinem linken Fuß. Der alte Junge trug mich bis Grävenwiesbach, vierzig Kilometer vor Frankfurt, dann machte er schlapp, und ich stieg zerknirscht in eine Bahn. Es musste so kommen. Schon auf dem

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