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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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Mund sehe. Die ganze obere Zahnreihe ist entzündet und blutrot.
    «Nö, tut sich nix. Das Interesse nimmt ab. Es berichtet ja auch keiner mehr über uns.»
    «Könnt ihr denn irgendwo duschen?»
    «Um die Ecke, in der GLS Bank.»
    «Ihr duscht in einer Bank?»
    Wieder lächelt der Mann.
    «Nun ja, das ist eine anthroposophische Bank.»
    Durch das Aktivistenlager gondelt eine rote Touristen-Rikscha aus Plastik. Darin sitzen zwei Mädchen, sie tragen Paris-Hilton-Brillen und filmen die Szene mit ihren Handys. «Bequem ans Ziel mit dem Sparkassen-Finanzkonzept» steht hinten auf dem Gefährt, und ich kann nicht verbergen, wie enttäuscht ich von diesem deprimierenden Ort bin. Hier passt nichts zusammen. Eigentlich sympathisiere ich mit Occupy, zumindest mit der Idee dahinter. Die Occupy-Aktivisten sind eindeutig die Good Guys in dieser Schmierenkomödie aus faulen Krediten, Skrupellosigkeit und Wahnsinn. Deswegen hatte ich mich auf sie gefreut und sogar kurz darüber nachgedacht, ob ich nicht eine Nacht mit ihnen zelte. Auch wenn ihre Forderungen utopisch erscheinen, wenigstens setzt mal jemand ein Zeichen gegen unser sarkastisches Finanzsystem. Doch nun wird Occupy offenbar selber okkupiert. Die Stimmung im Camp ist leicht aggressiv und schwer alkoholisiert. Es bleibt nur die Kulisse eines Aktivistenlagers, und niemand möchte hier noch ernsthaft die Welt verbessern. Der Herr am Info-Stand schlägt mir vor, am Nachmittag zur großen Occupy-Versammlung zu kommen. Da sei dann auch der Pressesprecher zur Stelle, und man könne mir alle meine Fragen beantworten. Doch die «Asemblea» fällt aus. Als ich ins Camp zurückkehre, liegen leere Rotweinflaschen auf dem Rasen, und ein besoffener Irokese brüllt «Revolution, ihr Schweine!» über den Platz.
    Ich nehme daher zunächst Verhandlungen mit der Gegenseite auf. Man sagt, dass Koffein und Kokain die gängigsten Aufputschmittel im Finanzbusiness sind. «Mr. Dax» Dirk Müller schwört auf ganz andere Drogen: «Ich esse auf dem Markt vor der Börse immer erst ein Mettbrötchen mit Zwiebeln und dann ein Fischbrötchen, um den Mettgestank wieder loszuwerden.»
    «Sie riechen also lieber nach Fisch als nach Hack.»
    «Also am liebsten rieche ich nach grüner Soße», antwortet Müller, und schon reicht er mir eine weiße Plastikschüssel, in der das seltsame hessische Nationalgericht «Grie Soß» schwappt. Kalte Kräutersoße mit saurer Sahne, Mayonnaise, halben, hartgekochten Eiern und lauwarmen Pellkartoffeln. Es schmeckt, sagen wir: besonders. In Frankfurt gibt es sogar ein «Grie-Soß-Festival» und ein «Grie-Soß-Denkmal» – sieben Gewächshäuser, auf deren Böden jeweils eine Zutat der merkwürdigen Suppe geschrieben steht: Schnittlauch, Kresse, Petersilie, Borretsch, Kerbel, Pimpinelle und Sauerampfer. Müller schlägt mir auf den Rücken: «Kriegst du das runter? Ich könnte ganze Eimer davon verdrücken. Wenn die erste Schüssel verputzt ist, bestell ich mir meistens eine zweite, und wenn die dann leer ist, möchte ich nur noch heulen.»
    Müllers Schwäche für Deftiges ist vermutlich schuld daran, dass er sich Bulle und Bär äußerlich etwas annähert. Der Gute hat sich einen kleinen Wohlstandsbauch angefuttert. Vor allem aber schlägt in ihm ein großes Herz. Davon konnte ich mich persönlich überzeugen, als wir vor ein paar Monaten im völligen Delirium Bruderschaft getrunken haben. Der Anlass war eigentlich seriös: Ich hatte ihn in meine WDR-Sendung «Der Gastmann» eingeladen, und wir wollten auf der Vierzig-Jahr-Feier von Hellas Troisdorf, einem deutsch-griechischen Fußballclub, über die Eurokrise diskutieren. Doch nach ein paar Ouzo lief die Sache völlig aus dem Ruder. Müller, der nicht mal auf seiner eigenen Hochzeit getanzt hatte, mutierte mit weit aufgeknöpftem Hemd zum griechischen Tanzgott «Dirkules». Nachts um fünf trat er dem Verein bei. Seither – ich muss es gestehen – sind wir ziemlich beste Freunde. Trotzdem sieze ich ihn noch immer, um das letzte Fünkchen journalistische Distanz zu wahren.
    Herr Müller pfeift auf solche Förmlichkeiten. Grau ist er geworden. Und trotzdem lächelt er wie ein kleiner Junge. Mit leuchtenden, großen Augen beobachtet er den Rummel, der um ihn gemacht wird, und kann das alles noch gar nicht fassen. Die Eurokrise schwelt vor sich hin, und mittlerweile hat der Börsenguru Dauerkarten für Anne Will, Sandra Maischberger und viele andere. Letzte Woche war er sogar Coverboy von Focus-Money. Doch im

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