Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
unheimlich lecker. Diese arme Seele soll nicht umsonst gestorben sein, und so verspeist ein einsamer Feinschmecker ein einsames, ausgebeintes Hähnchen, zahlt und träumt in der Nacht von einer bizarren TV-Show mit sieben Kellnern, die langsam und genüsslich von einem Panzer überrollt werden. Zum Einschlafen hatte ich kurz den Fernseher eingeschaltet. Gleich auf dem ersten Kanal lief eine Hitler-Doku.
Herrlisheim, Offendorf, Gambsheim, Kilstett, La Wantzenau, Fuchs am Buckel, Robertsau – sieben Dörfer, sieben Stunden zu Fuß, kaum eine Menschenseele, und als ich Straßburg erreiche, fühle ich mich so überfordert wie Crocodile Dundee in New York. Es ist, als kämen meine Sinne aus dem Urlaub und würden nun zurück in den Alltag geworfen wie in eine Pfanne mit heißem Fett. Die Fahrradklingeln, das Dröhnen der Mopeds in den Gassen, die schreienden S-Bahn-Schienen, das Klacken der Absätze, das Klirren des Geschirrs in den Cafés, die Kellner, die Touristen, die Schulklassen, die Kleinkinder, all das prasselt ungefiltert auf mich ein und bringt mich ins Wanken. Auf einmal gibt es Tausende fremder Gesichter zu studieren, manche erfüllen jedes Klischee. Männer balancieren in ihren Mundwinkeln Zigaretten, die gar nicht brennen, Mädchen in Trenchcoats und viel zu weiten, schlampigen Shirts erinnern mich an Sophie Marceau und feuchte Träume.
Warum nur wirken Französinnen so viel erotischer und anmutiger als deutsche Frauen? Weil sie dunkler sind? Weil sie schlanker sind? Weil sie keine BHs tragen? Es klingt absurd, aber ich denke, es ist die Art, wie sie schweben. Irgendwie bewegen sie sich langsamer: ihre Beine, ihre Lippen, ihre Augenlider, einfach alles. Selbst ihre Haare scheinen in Zeitlupe zu fallen, und immer dann, wenn die Mädchen mir entgegenkommen, zunächst verlegen auf den Boden blicken und mich erst im allerletzten Moment fixieren, explodiert tief in meinem Innern ein Stern. Eigentlich bin ich ein misstrauischer Mensch, doch bei hübschen Frauen setzt jede Kontrolle aus. Nichts fasziniert mich so sehr wie Schönheit und Perfektion, vielleicht, weil ich mich selbst so unvollkommen finde. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Mann.
Am Ufer der Ill begrüßt mich ein niedlicher weißer Malteser. Endlich mal ein netter Hund, denke ich. Das Tier hechelt auf mich zu, ich knie mich hin, breite die Arme aus, und das kleine durchtriebene Vieh beißt mir beherzt in den Unterschenkel. Was macht ihn so aggressiv? Bin ich es? Oder ist es das EU-Parlament auf der anderen Flussseite, über dem große Vögel kreisen wie die Geier? Der riesige runde Glaskasten hat etwas von modernem Vollzug, und seine Häftlinge brechen gerade aus. Die transparente Gangway, die aus dem Gebäude über das Wasser führt, entlässt Männer mit Rollkoffern in die Freiheit. Fast wundert es mich, dass überhaupt noch jemand da ist – es ist doch schon Freitagmittag.
Seit Jahrzehnten fragen wir uns, warum Deutschlands europäische Polit-Elite (Günther Oettinger, Lothar Bisky, Silvana Koch-Mehrin) in Straßburg so kläglich versagt. Hier ist die Antwort: Es gibt keinen vernünftigen Grund, in dieser Stadt zu arbeiten. Wenn die Sonne scheint, so wie heute, bekommt man auf dem Place Kléber vielleicht noch einen Tisch, aber garantiert keinen Stuhl. Dutzende, vielleicht sogar Hunderte reißen sich um jede Sitzgelegenheit und schleppen die Klappstühle der Brasserien lustig hin und her, wie es ihnen gefällt. Wer bei dieser Reise nach Jerusalem ausscheidet, trinkt seinen Wein eben im Stehen oder sitzt auf den warmen Steinen am Rand des Springbrunnens. Und so geht es bis spät in die Nacht. In Straßburg schmeckt das Leben süß. Vielleicht sollte man das EU-Parlament verlegen? Zum Beispiel nach Kassel?
Geselligkeit, Atmosphäre und Romantik sind für einen allein reisenden Monsieur drei große Probleme. Wie selbstbewusst muss man sein, um sich einfach zu den lachenden, trinkenden und flirtenden Gruppen zu setzen und mitzufeiern? Länger als eine Stunde irre ich abends über das Kopfsteinpflaster in La Petite France und fühle mich wie der einsamste Mensch auf der Erde. Im kleinen Frankreich, dem alten Quartier der Fischer und Gerber, spiegeln sich die Laternen, die Brücken, die Türme, das Fachwerk und die Blumen im flachen Wasser, das die Altstadt umspült. Es ist, als hätte man das schönste Dorf des Elsass mitten ins Herz von Straßburg verpflanzt. Eine Million Restaurants, Kneipen und Bars beleuchten das Viertel wie eine
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