Ganz die Deine
runden das Ganze immer so schön ab.
Hätte Mama mich doch sehen können! Sie ist nie zufrieden damit, wie ich mich anziehe. Sie sagt, ich schminke mich zu wenig, mache nichts aus mir. Sie dagegen hat einen so vulgären Geschmack, kennt nichts als die eigenen vier Wände. Morgens um neun richtet sie sich her, als ginge es zu einer Abendeinladung, grell geschminkt und parfumgetränkt. Dabei ist sie fast siebzig. Ich glaube, das hat sie sich angewöhnt, als sie noch hoffte, Papa werde irgendwann zurückkommen. Arme Mama. Ich habe ihr das einmal ins Gesicht gesagt. Die Antwort war eine schallende Ohrfeige.
Die Empfangsdame erkannte mich, noch bevor ich mich vorstellen konnte. Sie war erstaunt über mein Erscheinen. Normalerweise tauche ich nie bei Ernesto im Büro auf, nichts liegt mir ferner, als mich in seine Angelegenheiten einzumischen. »Ihr Mann ist noch nicht da, Señora«, sagte sie zur Begrüßung. »Ja, ich weiß, er hat mich gebeten, auszurichten, dass er erst gegen Mittag kommt. Ich gehe hinauf und sage seiner Sekretärin Bescheid.« – »Die ist auch noch nicht da.« – ›Und die kommt auch nicht mehr‹, sagte ich innerlich und kam mir bei diesem reichlich unpassenden Gedanken zugegebenermaßen ein wenig schäbig vor. Aber was solls, man kann seine Gedanken schließlich nicht ständig unter Kontrolle halten. Ich antwortete: »Ich warte oben, ich muss ihr eine Nachricht übergeben.« Und schon war ich auf dem Weg hinauf in Ernestos Büro. Es war niemand da. Ernesto schimpft immer, weil vor neun Uhr nie jemand im Büro ist. Ich hatte also eine halbe Stunde Zeit für mein Vorhaben. Ich sah sämtliche Schreibtischschubladen durch, ohne irgendetwas Kompromittierendes finden zu können. »Gut, mein kleiner Ernesto, das hast du wenigstens mal gut gemacht«, sagte ich zu mir. Anschließend durchsuchte ich ihren Schreibtisch. Auch nichts. »Brave Kinder!« Aber ich kannte die Deine, wer mit Lippenstift Briefchen unterschreibt und Präser mit Widmungen versieht, dem sind noch ganz andere Sachen zuzutrauen. Irgendwo musste sie doch ein Souvenir meines Gatten versteckt haben, sei es ein Foto, ein Slip (zu Hause zieht er nur Boxershorts an, aber wer weiß, wie er es bei ihr hält), ein kleiner Teddybär mit Schild um den Hals (»Schenk mir deinen Honig« oder ähnliche Peinlichkeiten), ein Gedicht. Was weiß ich, irgendwas. Irgendwas musste diese Frau doch von ihm haben. Die mittlere Schreibtischschublade war abgeschlossen, aber sie ließ sich leicht öffnen. Mit ein bisschen Geduld geht alles. Und Geduld hatte ich zur Genüge. Auch jetzt noch.
Nichts, ein klein bisschen Geld, ein paar Schecks, diverse Gutscheine. Und ein Schlüsselbund. Das war schon interessanter. Jeder Schlüssel mit einer Bezeichnung versehen. Wirklich, eine tüchtige Sekretärin. »Büro Señor Ernesto« – »Señor Ernesto, du Miststück!« –, »Empfang«, »Dienstboteneingang«, »Haupteingang«, »Konferenzraum«, »Ersatzschlüssel Avellaneda« – genau genommen handelte es sich bei Letzterem um zwei verschiedene Schlüssel an einem Ring. Nach kurzem Überlegen nahm ich den Bund an mich.
Von ihrem eigenen Telefon aus rief ich bei der Personalabteilung an. Ich nannte meinen Namen, warum auch nicht, und sagte, ich hätte der Deinen im Auftrag meines Mannes etwas Dringendes auszurichten. Natürlich sagte ich »Alicia«. »Sie ist aber noch nicht da. Ob Sie mir wohl ihre Privatnummer geben könnten? Ach ja, und die Adresse, ich muss ihr auch noch per Kurier ein paar Unterlagen schicken.« Offensichtlich genoss mein Mann in der Firma hohes Ansehen, oder die Leute von der Personalabteilung waren schlicht und ergreifend Idioten, jedenfalls gaben sie mir unverzüglich Auskunft. »Avellaneda 345, fünfter Stock, Wohnung B.« Man braucht kein Genie zu sein, um zu begreifen, worauf sich die Worte »Ersatzschlüssel Avellaneda« bezogen.
Es war wirklich mein Glückstag. Nie hätte ich damit gerechnet, dass sich mir die Tür zur Wohnung der Deinen so widerstandslos öffnen würde. Ein Geschenk des Himmels. Oder vielmehr eine himmlische Botschaft, irgendwer dort oben wollte, dass ich noch vor Eintreffen der Polizei jene Wohnung durchsuchen konnte.
Glückstrahlend ging ich die Treppe hinunter. Besser gesagt, triumphierend. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass der Besuch im Büro meines Mannes derart nützlich für uns sein würde. Für uns, für Ernesto und mich, mochte Ernesto im Moment auch bloß halb zurechnungsfähig sein. Mit breitem
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