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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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niemandem. Nicht mal mit Lali und mir. Woraus ich folgerte, dass diese Frau ihn bedrängt hatte. Die Idee mit der Reise und den Tickets stammte zweifellos von ihr. Möglicherweise ging es bei dem Streit, der damit endete, dass die Deine mit dem Kopf auf dem Baumstamm aufschlug, um genau diese Reise. Hätte es sich um Tickets nach Bariloche gehandelt, hätte die Idee von Ernesto sein können. Aber niemals nach Brasilien. Dafür kannte ich Ernesto zu gut, seit über zwanzig Jahren. Die Tickets waren auf einen Tag in einigen Wochen datiert. Aber Gott hatte es so gewollt, dass die Deine – mit ein bisschen Glück und bei entsprechender Trägheit der Polizei – sich an jenem Tag noch immer dort befinden würde, wo Ernesto sie hingeschafft hatte.
    Ich steckte die Tickets in meine Handtasche und machte den zweiten Umschlag auf. Und das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Genauer gesagt, kein Mensch mit auch nur einem Funken Verstand wäre fähig, sich so etwas auszudenken. Zuerst wurde ich wütend. Sehr wütend, das muss ich zugeben. Aber gleich darauf empfand ich Mitleid. Was sonst hätte man angesichts dieser Bilder auch empfinden sollen? Schwarz-Weiß und so klein wie die Abbildungen auf einem Kontaktstreifen, die manchmal bei Partys gemacht werden, damit man nachher ein paar davon auswählen kann: Fotos von Ernesto – nackt! Wie kann man bloß auf die Idee kommen, Ernesto nackt posieren zu lassen, und ihn dabei auch noch fotografieren? Ernesto sieht nicht schlecht aus – angezogen. Im unbekleideten Zustand hängt einfach viel zu viel an ihm herab. Er ist keine zwanzig mehr und auf allen Seiten reichlich schlaff. Wenn er nackt aus dem Bad kommt, verzichte selbst ich, seine Ehefrau, darauf, genauer hinzusehen. Ich finde ihn nicht attraktiv. Angezogen schon, das ist etwas anderes. Ernesto war immer gut aussehend, elegant. Aber ihn dazu zu bringen, sich splitternackt in einen Sessel zu setzen und mit idiotischem Gesichtsausdruck in die Kamera zu starren … Hatte er nicht daran gedacht, dass die Leute, die den Film zum Entwickeln bekamen, ihn so sehen würden? Ein Bild so richtig zum Einrahmen und ins-Regal-stellen!
    Mit spitzen Fingern steckte ich die Bilder zurück in den Umschlag und den Umschlag in meine Handta sche.
    Alles Übrige legte ich wieder genau so hin, wie es gewesen war. Als ich schon fast an der Tür stand, drehte ich mich um. Ich ging zurück zum Nachttisch, öffnete die Schublade und steckte die Pistole ein. Ich weiß selbst nicht warum, eine plötzliche Eingebung. Außerdem gibt eine Waffe immer zu allen möglichen Verdächtigungen Anlass. Erst recht, wenn sie geladen ist.
    Ich öffnete die Tür und spähte auf den Gang hinaus. Es war niemand zu sehen. Während ich mit dem Aufzug nach unten fuhr, gratulierte ich mir zu der Idee, hierher zu kommen. In meiner Handtasche befand sich erdrückendes Beweismaterial – lauter falsche Beweise natürlich, denn Ernesto wusste so gut wie ich, dass alles ein Unfall gewesen war. Aber es kommt nicht nur darauf an, was gewesen ist, sondern mindestens ebenso sehr, ob es auch danach aussieht. Und es wäre schwierig gewesen, jemanden, der diese peinlichen Fotos von Ernesto und dazu die Flugtickets gefunden hätte, davon zu überzeugen, dass sie nichts zu bedeuten hatten. Bei der bloßen Vorstellung, jemand anders könnte die Fotos zu Gesicht bekommen, standen mir ohnehin die Haare zu Berge. Es ist so einfach, seinen Ruf auf einen Schlag für alle Zeit zu ruinieren! Zum Glück war ich da, um das zu verhindern.
    Ich war erst wenige Schritte vom Ausgang entfernt, als plötzlich ein Taxi vor dem Haus hielt. Ihm ent stieg die große Schwarzhaarige von dem Foto. Sie sah besorgt aus. Und sie schien es eilig zu haben. Sie ließ das Taxi vor dem Hauseingang warten. Sie schloss mit ihrem eigenen Schlüssel auf und ging hinein. Wäre ich bloß fünf Minuten länger in der Wohnung geblieben, hätte sie mich dort vorgefunden. Ich sah mich nach einem Platz um, von dem aus ich sie unbemerkt beobachten konnte. Dem Haus gegenüber war eine Bar. Ich ging hinein und setzte mich ans Fenster. Der Kellner kam, und ich bestellte einen Kaffee. Eigentlich wollte ich überhaupt nichts zu mir nehmen, vor allem aber wollte ich ihn so rasch wie möglich loswerden, um unbehelligt hinüberspähen zu können. Der Kellner blieb stehen und sah mich an, genauer gesagt, meine Hände. Ich senkte meinerseits den Blick auf meine Hände: Ich hatte immer noch die Gummihandschuhe an! »Na so was Blödes,

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