Ganz oder gar nicht
bereitwillig der Kleine seine Hand in die des Kindermädchens legte. „Ist das in Ordnung, Sam?"
fragte sie noch, aber er nickte nur und winkte zum Abschied.
„Er ist viel müder, als ich dachte", sagte sie. „Diese Hitze und die Aufregung, es ist ja alles so neu für ihn."
Wenige Minuten später wurde auch Rosalind von Müdigkeit fast überwältigt. Sie streckte sich und gähnte. „Ich glaube, ich werde mich selbst auch ein wenig hinlegen."
„Ich zeige dir den Weg." Najib stand auf.
Sie folgte ihm durch die Arkaden und dann einige Stufen hinauf zu einem schattigen Gang, der den größeren Innenhof mit dem kleineren verband.
Nach einem weiteren Säulengang, der ein kleines rundes Wasserbecken umgab, brachten ein paar breite Steinstufen sie zu einer Doppeltür. Dahinter lag ein lang gestreckter Raum, in dem es erstaunlich kühl war. An der gegenüberliegenden Seite waren mehrere Fenster, und die durchbrochenen Fensterläden ließen eine leichte Brise hinein. Sie waren aus dunkelgrün gestrichenem Holz und weckten die Illusion, von kühlendem, üppigen Grün umgeben zu sein.
An einem Ende des Raums stand ein breites Bett, am anderen waren mehrere Diwane und flache Tische. Die Wände waren geschmückt mit Gemälden und Teppichen, und in mehreren Nischen standen Krüge und Karaffen und andere dekorative Gegenstände aus Bronze und Messing. Eine Wand wurde ganz von einem riesigen Wandteppich bedeckt. Er war besonders kunstvoll geknüpft, und Rosalind erkannte den Namenszug von Hafzuddin darin.
Es gab mehrere riesige Kleiderschränke und Kommoden aus edlem Holz und mit kunstvollen Schnitzereien, und alles verströmte einen feinen würzigen Duft.
Es war ein Schlafzimmer wie aus einem Traum, malerisch und sinnlich.
Sie und Najib standen wenige Schritte voneinander entfernt und vermieden es, sich anzusehen. Es wäre so leicht ...
„Wo wohl mein Gepäck ist?" Rosalind blickte sich um.
„Bestimmt ist alles schon ausgepackt", sagte Najib, froh über die Unterbrechung des angespannten Schweigens. Er ging zu einem der Schränke und öffnete ihn. „Ach nein, das sind meine Sachen."
Er öffnete einen anderen, und dort erkannte Rosalind all ihre Sachen wieder, ordentlich auf Bügel gehängt und in Regalen gestapelt.
„Wir schlafen also im selben Zimmer?" Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
„Anders geht es nicht, Rosalind", sagte Najib entschuldigend. „Dir ist sicher auch klar, dass alles, was wir so mühsam aufgebaut haben, unterlaufen werden würde, wenn sich durch die Bediensteten Gerüchte ausbreiten würden. Besonders hier in die sem Haus muss jeder wirklich glauben, dass wir verheiratet sind und dass Samir unser gemeinsamer Sohn ist."
„Ja", brachte sie mühsam heraus.
„Unsere Geschichte war auch hier in allen Zeitungen, und die Bediensteten haben sie ganz sicher gelesen."
Sie nickte nur.
„Natürlich werde ich auf einem der Diwane schlafen, oder vielleicht auf dem Dach."
Rosalind senkte die Lider. „Natürlich."
„Es tut mir Leid, dass das alles sein muss."
„Najib, da du all das aus Gefälligkeit mir gegenüber tust, finde ich, du solltest dich nicht auch noch entschuldigen", erwiderte Rosalind nüchtern, dabei wäre sie am liebsten im Boden versunken.
Er nickte stumm. Sie wusste, sie hatte ihn gekränkt. Aber was sollte sie sagen? Dass alles in Ordnung war? Nichts war in Ordnung. Es war fast unerträglich. Wie sollte sie da so tun, als sei alles in Ordnung?
Sie verstand ihn einfach nicht. Körperlich begehrte er sie durchaus, das wusste sie. Was für einen Sinn hatte es also, sich solche Zurückhaltung aufzuerlegen?
Die Bucht öffnete sich nach Westen. In der relativ kühlen Abendluft erwachte Rosalind und streckte sich wohlig. Sie stand auf und zog sich ein weit geschnittenes Strandkleid aus Baumwolle an und schlüpfte in Sandaletten. Eine Dienerin zeigte ihr den Weg, und sie ging durch den Garten nach draußen und zum Strand.
Die Landschaft sah noch atemberaubender aus, wenn sie vom goldenen Licht der untergehenden Sonne überflutet wurde. Die Felsen wirkten plötzlich wie lebendig. Aber anders als zu Hause in England, wo alles von weichem Moos überzogen war, war hier alles kahl. Doch als Rosalind aufblickte, sah sie über sich einen einzelnen, von der Sonne ausgedörrten Busch, der sich an den nackten Felsen klammerte.
Es war fraglos sehr beeindruckend, aber Rosalind überlegte, wie man in einer solchen Landschaft leben konnte. Befanden die Menschen sich hier nicht in einem
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