Ganz oder gar nicht
bis weit ins Meer und bildeten zahllose Buchten. Aus der Luft wirkte das Meer türkisblau, aber gleichzeitig kristallklar, so dass man bis auf den Grund sehen konnte, und bildete einen scharfen Kontrast zu den Farben des Landes: Ocker, Braun und Schwarz.
In der Ferne erhob sich der stolze Gipfel des Berges Shir inmitten von schneebedeckten Bergen, die zum Meer hin immer fla cher wurden.
Auf Parvani bedeutete das Wort „Shir" sowohl „Löwe" als auch „Milch", und es gab eine Legende um jenen Berg, der zufolge er sowohl Vater als auch Mutter war für das Land, über dem er thronte.
Rosalind konnte gut verstehen, wie es zu dieser Legende gekommen war. Dieser Berg wirkte irgendwie beschützend. Man fühlte sich in seinem Schatten unwillkürlich geborgen.
„Mommy, Mommy!" schrie Sam, atemlos vor Begeisterung über den ersten Helikopterflug seines Lebens. „Juhu!" schrie er wieder, als der Helikopter abrupt in die Höhe stieg, um über einen der Felsausläufer zu fliegen.
Sam zuliebe, der das „Achterbahngefühl" so liebte, flog Najib so tief wie möglich, so dass es von Zeit zu Zeit nötig wurde, ganz schnell an Höhe zu gewinnen.
„Siehst du? Dort steht deine Villa", sagte Najib, als sie den Felskamm überflogen.
Rosalind stockte der Atem. Jetzt war es an ihr, sich wie auf einer Achterbahn zu fühlen. Dicke Mauern liefen um einen üppigen Garten, das einzige Grün weit und breit, und ein längliches Gebäude, das ganz aus Natursteinen und Lehm gebaut war, mit mehreren Kuppeln und drei Innenhöfen, einem großen rechteckigen in der Mitte und zwei kleineren quadratischen an jeder Seite.
Jeder der Innenhöfe war gekachelt und enthielt Springbrunnen und Wasserbecken und die wunderschönsten blühenden Büsche, die normalerweise auf diesem trockenen Boden gar nicht existieren konnten. Zwischen den Kuppeln, das sah Rosalind an der Bauweise des Daches, war der Bereich, wo man in den allerheißesten Nächten schlief. Um das Haus herum standen ebenfalls üppig blühende Büsche und sogar große, Schatten spendende Bäume.
Das Ganze bildete eine vollkommene Oase.
Ein kleiner Pfad führte vom Haus hinab zu einer kleinen Bucht. Der Sandstrand war fast rosa, das Wasser türkis. Ein kleines, an einer weißen Boje vertäutes Fischerboot tanzte auf den glitzernden Wellen. ' „Es ist wunderschön", hauchte Rosalind. „Wie ein Traum."
Sie waren hergekommen, damit sie ihr Erbe sehen konnte, aber auch, weil dieser Ort ein exzellentes Refugium und Schutz vor den Medien bot. Später, wenn alle Vorbereitungen getroffen wären, würden sie in Prinz Rafis Palast in den Bergen von Ostbarakat wohnen, wo auch die Hochzeit stattfinden sollte.
Geschickt brachte Najib den Helikopter auf dem felsigen Gelände zu Boden.
Rosalind staunte über die majestätische Schönheit aber auch über Unwirtlichkeit der Umgebung. „Ist das Haus nur aus der Luft erreichbar?" fragte sie.
„Vom Wasser aus auch." Najib zeigte aufs Meer. „Für ganz Abgehärtete auch zu Fuß oder mit Kamelen. Kamil ... Jamshid hatte eine Yacht, mit der er immer nach Daryashar segelte."
Daryashar war der Hafen von Ostbarakat. Rosalind hatte versucht, in der kurzen Zeit noch so viel wie möglich über Geschichte und Geographie dieses Landes zu lernen, bevor sie sich auf das größte Abenteuer ihres Lebens eingelassen hatte.
Sie hatte immer noch Zweifel und Angst, ob sie richtig gehandelt hatte. Noch in Sir Johns Haus war sie von zwei geheimnis vollen Männern befragt worden, und deren Blicke, als sie ge schworen hatte, dass Samir nicht Prinz Kamils Sohn sei, waren für sie das Schlimmste gewesen. Ihr Schwur konnte in deren Augen ja nur bedeuten, dass sie Jamshid betrogen hatte. Aber was sonst hätte sie tun sollen?
Wenn sie es nicht getan hätte und die Wahrheit eines Tages ans Licht kommen würde, würde Sam ihr jemals vergeben? Würde irgendjemand ihr jemals vergeben?"
Was sie vor allem beunruhigte, war ihre Unsicherheit hinsichtlich ihrer eigenen Beweggründe. Dass sie sich auf diese Schein heirat einließ, hatte das nicht doch noch andere Gründe, die sie sich nicht eingestehen wollte?
„Marhaba, ahlan wa sahlan!"
„Marhaba!"
Mehrere Männer und Frauen waren aus dem Haus gekommen, um sie zu begrüßen.
„Shokran jazilan", erwiderte Rosalind.
„Alhamdolülah ala Assalaamata!"
Die Männer kümmerten sich routiniert um das Gepäck, während die Frauen die Hände nach Sam ausstreckten und in Begeis terungsrufe ausbrachen, weil er so niedlich war und
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