Ganz oder gar nicht
zog Rosalind sich nach dem Frühstück einen Badeanzug unter ihrem Kleid an, und dann schlenderten sie alle zusammen hinunter zu der kleinen Bucht.
Es war völlig anders als jeder Strand, den Sam jemals gesehen hatte. Rosalind zog ihm die Djellaba aus und ließ ihn nackt ins Wasser laufen.
„Mommy, es ist warm!" schrie er begeistert. „Das Wasser ist ganz warm!" Und er warf sich in die Wellen.
„Ich dachte immer, er hätte ein bisschen Angst vor dem Wasser", sagte Rosalind zu Najib. „Ich wusste gar nicht, dass es eine Frage der Temperatur ist."
Die bis ins Wasser reichenden Felsausläufer wurden von einer Bucht zur anderen immer länger und wirkten wie Wellenbrecher. So war das Wasser innerhalb der Bucht ziemlich ruhig und die Brandung sanft. Außerdem war es ziemlich seicht und fiel erst nach einigen Metern steil ab. Es war einfach ideal zum Schwimmen.
Etwa dreißig Meter von ihnen entfernt ragte ein kleiner Felsen aus dem Wasser, und sie beschlossen, dorthin zu schwimmen. Sam saß dabei auf Najibs Rücken und hielt sich an dessen Schultern fest. Er lachte ausgelassen und hatte nicht die geringste Angst.
Während Rosalind langsam neben ihnen schwamm, fragte sie sich, was sie mit ihrem Erbe anfangen sollte. Sam gefiel es hier sehr, aber wie würde es ihm, wie würde es ihnen beiden gefallen, wenn sie später wieder hierher kämen und Najib wäre nicht bei ihnen? Seine Anwesenheit machte für Sam zum großen Teil den Zauber dieses Ortes aus.
Und für sie auch.
„Wenn ich es nicht behalten will, was dann?" fragte Rosalind später, als Najib ihr das gesamte Anwesen zeigte.
Sie befanden sich in einem kleinen Büroraum am Ende einer der Innenhöfe, wo sich zu Rosalinds Überraschung mehrere Telefone und ein Computer mit Internetanschluss befanden. Sie könnte also hier arbeiten, wenn sie wollte, und ihre Übersetzungen per E-Mail schicken.
Najib hatte gerade erklärt, dass das Haus schon seit Jahren als Urlaubsresidenz der Familie benutzt wurde und viele von ihnen auch im Urlaub nicht auf die Möglichkeiten moderner Kommunikationstechnik verzichten wollten.
„Du willst das Haus nicht haben?" murmelte Najib, ließ sich jedoch nicht anmerken, was er dabei empfand.
„Nun ja, ein Haus in Frankreich wäre vielleicht praktischer für den Urlaub", erwiderte Rosalind. „Die Flüge hierher sind so teuer, und ..."
„Du und Sam, ihr fliegt natürlich umsonst mit Royal Barakat Air", fiel er ihr ungeduldig ins Wort.
Rosalind blinzelte überrascht. „Umsonst? Warum?"
„Wir werden demnächst heiraten. Für den Rest der Welt sind wir bereits verheiratet. Die Tafelgefährten des Prinzen und deren Familien reisen alle umsonst mit Royal Barakat Air."
„Aber es ist doch gar keine echte Ehe."
Rosalind wusste nicht recht, weshalb sie das gesagt hatte. Vielleicht, um eine Reaktion aus ihm hervorzulocken. Und die bekam sie.
„Wie echt muss es denn noch werden, Rosalind? Wir waren ein Liebespaar letzte Nacht, oder nicht?"
Innerhalb einer Sekunde war die erotische Spannung zwischen ihnen hoch explosiv.
Najib packte Rosalind am Arm. „Wirst du ...", begann er, aber was immer er hatte sagen wollen, war vergessen, als Rosalind sich an ihn schmiegte und ihm ihre Lippen bot.
Er wollte ihr widerstehen. Er wollte ihr sagen, wie dumm es wäre, so weiterzumachen, dass er es gegen seinen Willen begonnen habe. Doch ihre vollen Lippen erwartungsvoll geöffnet... es war zu viel. Und wie von selbst verschmolzen seine Lippen mit ihren.
Er ergab sich dem Wahnsinn, der von ihm Besitz ergriffen hatte. Als er am Morgen aufgewacht war, hatte Rosalind nackt neben ihm gelegen, warm und weich, wie nur eine Frau es sein konnte, die in der Nacht alle sinnlichen Vergnügen voll ausgekostet hatte. Und das Verlangen, sie zu lieben, war sofort wieder in ihm erwacht.
Er hatte sich gezwungen, aufzustehen und sich zu entfernen. Wohin sollte das führen? Ganz gleich, inwiefern sie die Unwahrheit sagte, sie war nicht ehrlich. Wahrscheinlich hatte sie ihn, ja, die ganze Familie, längst verraten. Vielleicht würde sie sie am Ende alle ins Unglück stürzen. Aber sein Verlangen nach ihr raubte ihm fast den Verstand.
Ganze Königreiche waren schon untergegangen wegen einer Frau. Kein Wunder, wenn diese Frauen so schön und begehrenswert waren wie Rosalind. Zum ersten Mal konnte Najib, der früher wenig Verständnis für das Verhalten solcher Narren gehabt hatte, sich vorstellen, in was für ein Dilemma ein Mann geraten konnte.
Unten am Strand
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