Ganz oder Kowalski
den Schränken verstaut hatten, bemerkte man kaum einen Unterschied im Haus.
„Es sieht noch immer nicht so aus, als würdest du schon ein Jahr lang hier leben“, stellte Emma fest.
Sean zuckte die Achseln und setzte sich rücklings auf einen Küchenstuhl. Lässig verschränkte er die Arme vor sich auf der Rückenlehne. „Sie wird sich keine großen Gedanken darüber machen. Alleinstehende Männer, die vorher in der Army waren, sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie viele persönliche Dinge mitschleppen.“
„Es kommt mir nur so vor, als solltest du mehr … Kram haben. Bilder und Sporttrophäen und solche Dinge.“
„Das befindet sich alles zu Hause auf dem Dachboden. Falls sie etwas sagen sollte – was sie nicht tun wird –, werde ich ihr erklären, dass ich einfach noch nicht die Zeit hatte, um die Sachen zu holen.“
Sie nahm zwei Flaschen Soda aus dem Kühlschrank und stellte eine der Flaschen vor ihm auf den Tisch. „Lisa hat mir ein bisschen über deine Familie erzählt. Sie sagte, ihr würdet Leo und Mary sehr nahestehen, obwohl ihr alle in Maine gelebt habt.“
„Meine Mom ist gestorben, als ich neun war. Sie hatte ein Aneurysma, also kam es vollkommen unerwartet. Wenn Tante Mary und Rosie nicht gewesen wären, wäre alles den Bach runtergegangen – inklusive Dad. Rosie ist die Hausdame in der Lodge , doch eigentlich ist sie viel mehr als das. Zusätzlich zur Erziehung ihrer eigenen kleinen Tochter ist sie vorgetreten und hat meinem Dad geholfen, uns fünf großzuziehen. Dad ist vor neun Jahren gestorben, aber Rosie ist noch immer dort und hilft Josh, die Lodge zu leiten. Doch ohne Tante Marys Unterstützung weiß ich nicht, was aus uns geworden wäre.“
Sie mochte es, wie ein beinahe zärtlicher Ausdruck auf sein Gesicht trat, wenn er über seine Familie sprach. Und sie mochte die Art, wie sein Bizeps sich anspannte, wenn er die Flasche Soda an den Mund führte. Und sie mochte es, wie sein Adamsapfel zuckte, wenn er schluckte. Und …
Und nichts weiter, mahnte sie sich selbst. Sie musste ihn als Angestellten sehen … irgendwie. Bis auf die Sache mit dem gemeinsamen Schlafzimmer.
„Dann ist morgen also der große Tag“, sagte er, und sie fragte sich, ob er versuchte, das Thema zu wechseln, um nicht weiter über seine Familie sprechen zu müssen. „Bist du bereit?“
„So bereit, wie es eben geht, denke ich. Ich kann es nicht erwarten, Gram wiederzusehen. Ich habe sie so vermisst. Andererseits ist ein Monat eine lange Zeit.“
„Die Zeit wird wie im Fluge vergehen.“
Den Blick auf ihre Hand gerichtet, drehte sie den Ring an ihrem Finger und beobachtete, wie der funkelnde Stein die letzten Strahlen der Nachmittagssonne einfing. „Obwohl ich mich so intensiv mit der Sache beschäftigt habe, habe ich trotzdem das Gefühl, ich hätte noch mehr darüber nachdenken sollen.“
„Du kannst deine Meinung immer noch ändern.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir sind jetzt irgendwie … verbunden.“
„Oder sollten es zumindest sein“, entgegnete er, und sie lachten.
Dann trank er sein Soda aus und erhob sich. „Also, ich mache mich auf den Weg. Ich werde mich ein bisschen ausruhen und ausschlafen, bevor die große Show beginnt.“
„Gut. Wenn du deine Sachen um zehn Uhr vorbeibringst, hast du noch genug Zeit, um auszupacken, ehe ich zum Flughafen muss.“
„Ich werde pünktlich sein.“
Nachdem er gegangen war, ließ Emma sich auf die Couch fallen. Sie war mit den Nerven am Ende. Vom morgigen Tag an würde sie ihre Großmutter davon überzeugen müssen, dass sie in Sean Kowalski verliebt war. Und Sean würde bei ihr einziehen. In ihr Schlafzimmer. In ihr Leben.
An Schlaf war nicht zu denken.
Nachdem er einige Stunden gegrübelt hatte, beschloss Sean, seinen ältesten Bruder Mitch anzurufen. Genau wie er war Mitch ein unsteter Mensch, der nie besonders lange an einem Ort blieb oder zu viel Zeit im Bett einer einzigen Frau verbrachte. Von seinen Geschwistern war er vermutlich derjenige, der bei Seans Geschichte nicht direkt glauben würde, Sean hätte den Verstand verloren und brauchte professionelle Hilfe.
„Hallo, kleiner Bruder“, meldete Mitch sich nach dem dritten Klingeln. „Wie geht es dir?“
„Gut.“ Seltsam, aber gut, schoss es ihm durch den Kopf. „Hast du einen Moment Zeit, oder störe ich gerade?“
„Ich habe sogar fünf oder sechs Minuten für dich. Ich bin in Chicago und bereite mich darauf vor, ein altes Bürogebäude abzureißen. Wir
Weitere Kostenlose Bücher