Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
zu achten. Doch die Menschen achten nicht auf den Zucker, sondern auf den Fettrand am Schinken und aufs Frühstücksei, sie essen fettarm, und um den Zucker kümmern sie sich nicht. Denn in der Wissenschaft hat sich nicht Zuckerkritiker Yudkin durchgesetzt, sondern die konkurrierende Theorie, die nicht den Zucker, sondern das Fett als Krankheitsauslöser betrachtete.
Das Fett ist sichtbar, der Speck am Bauch und an den Hüften. Es ist dem Fett nicht mehr anzusehen, dass es eigentlich verwandelter Zucker ist, der Zucker aus dem Cappuccino, aus Kuchen, Keksen, Muffins, Milchschnitten, der Cola. Verwandelt in Fett, gespeichert für Notzeiten, gemäß einem Programm aus dem Ordner für Überlebensstrategien.
Diese Fähigkeit des Körpers, Zucker in Fett zu verwandeln, wird ihm nun zum Verhängnis. Was eigentlich eine Überlebensstrategie war, wird nun zur lebensgefährlichen Falle. Denn es kommen ja keine Notzeiten, es kommen wieder Colas und Gummibären und Milchschnitten, wieder überflüssiger Zucker, der wieder verwandelt wird in Fett. Da die Zuckerflut aber nicht aufhört, wird es immer mehr Fett, die Lagerstätte Leber ist irgendwann überfüllt, dann werden die anderen Organe nach und nach mit Fett überzogen, einer gelblichen Masse wie beim Maishähnchen. Das sieht aus wie Fett, ist auch Fett. An den Laborwerten nach der Blutuntersuchung sieht niemand mehr, dass das Fett eigentlich verwandelte Gummibärchen und Kinder-Milchschnitten sind, beim Hähnchen ist es verwandelter Mais. Der Zucker hat sozusagen seine Spur verwischt, die Verfolger sind abgelenkt. Alle starren auf das Fett, auf die Fettwerte im Blut.
Der Zucker wurde nicht verboten. Mehr noch: Er wurde sogar noch gefördert. Und obwohl er eigentlich das Problem war, war er nun Bestandteil der vermeintlichen Lösung. Denn zugleich begann der Aufschwung eines neuen Wirtschaftssektors, der Siegeszug der Fettreduzierungsindustrie. Low-fat-Joghurt, fettarme Milch, Quark mit 0,1 Prozent Fett, völlig fettlose Fitness-Drinks. Das Fett als Geschmacksträger wird entfernt, der Geschmack kommt fortan vom Zucker.
Zum Beispiel bei den Abnehmprodukten von den Weight Watchers, der Lasagne Bolognese, dem Jägerrahmschnitzel mit Champignons, dem Frischen Dressing Sylter Art. Wenn das Fett fehlt, kommt Zucker rein: So ist das auch beim Rewe Joghurt Dressing 5,5 Prozent Fett, dem Nadler Joghurt Kartoffelsalat mit Schnittlauch mit 7 Prozent Fett oder dem Du-darfst-Produkt Fruchtiger Geflügel Salat mit 8 Prozent Fett. Oder Danone Activia Erdbeere mit 0,1 Prozent Fett – aber fast 10 Prozent Zucker.
Für die Firmen, die den Zucker in die Welt bringen, ist das natürlich eine erfreuliche Situation. Alle Welt starrt seit Jahrzehnten auf das Fett, und der Zucker kann in aller Ruhe weiter verkauft werden. Verständlich, dass die Industrien aus dem süßen Komplex immer wieder unfreundlich reagierten, wenn jemand das Augenmerk auf den Zucker lenken wollte.
Als zum Beispiel ein Verbraucherverband vor Jahren eine Broschüre mit dem Titel »Schadstoff Zucker« herausbrachte, klagte sogleich die Lobbyvertretung der deutschen Zuckerindustrie, die »Wirtschaftliche Vereinigung Zucker«, vor Gericht – doch ohne Erfolg: Das Hanseatische Oberlandesgericht stellte sich auf die Seite der Verbraucher und urteilte, dass »im Zucker ein nicht zu vernachlässigendes Gefährdungspotenzial steckt« (3 U 11 / 87 74 C 235 / 86).
Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker schickte auch einen Anwalt los gegen den deutschen Arzt Max Otto Bruker (1909–2001). Er zählte zu den herausragenden Kritikern des Zuckers. Als Bruker sein erstes Buch über Zucker publiziert hatte, kam gleich Post von Martin Holste, Rechtsanwalt aus Hamburg.
»Sehr geehrter Herr Dr. Bruker«, schrieb dieser. »Bei aller Würdigung der Freiheit von Lehre, Forschung und Wissenschaft können die von Ihnen seit einiger Zeit in der Bekämpfung des Zuckers wegen dessen angeblicher Gesundheitsschädlichkeit angewendeten Mittel nicht gebilligt werden.«
Bruker hatte sich an Zeitungen und Zeitschriften gewandt und sie um Einstellung der Werbung für Zucker gebeten mit Hinweis auf dessen schädliche Wirkungen. Damit war der Anwalt gar nicht einverstanden, wie Bruker in seinem Buch »Zucker, Zucker« berichtet, denn: »Damit verletzen Sie die Rechte der Zuckerfabrikanten auf ungestörte Ausübung ihrer eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebe.« Und er kündigte Schadensersatzforderungen an, wenn Bruker seine
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