Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Wänden, entspannende Motive, ein Sonnenuntergang am See, ein Segelboot in der Dämmerung. Die Wände in freundlichen Pastelltönen; im Ruheraum im Obergeschoss läuft Entspannungsmusik.
Alles sieht sehr nach Wellness aus, nur bei Agnes wächst die Wut. Backpflaumen haben sie ja schon lange keine mehr gegessen, und trotzdem hört es nicht auf, das Rumoren in Willis Bauch. Jetzt trägt sie ihre Verzehrprotokolle vor. Am Sonntag gab es Putenschnitzel, Blumenkohl und Kartoffeln, abends Brot, Schinken, Käse. Im Laufe der Woche gab es dann Lachs, tiefgefroren, im Speckmantel gebraten, dazu Kartoffeln, ein kleines Glas Weißwein. Wein steht auch auf der Liste der verbotenen Lebensmittel. Enthält auch Fruktose und dazu noch Konservierungsstoffe, die dem Darm schaden können.
Und dann gab es mal diese Gurken aus dem Glas. Vielleicht war da was drin, meint Frau Frevert, die Ernährungsberaterin in Exter: »Ganz am Anfang hatte ich Ihnen diese Liste gegeben mit den Zusatzstoffen, was drin sein darf und was nicht. Das ist nicht nur Fruktose und Glukose, Fruchtzucker, Fruktosesirup, auch Fruchtaromen, Honig, Sorbit, Sorbitol, Mannit, Maltit, Isomalt, Xylit. Sollte alles nicht da auftauchen. Und das ist oft in den Gurken drin. Gucken Sie da mal rein. Kann sein, dass Sie es deshalb nicht vertragen.« Mannit, Sorbit, Xylit und all so Sachen. Es ist kompliziert geworden in der neuen Welt der Nahrung, mit der jetzt auch schon Agnes und Willi zu kämpfen haben, die doch glauben, sie würden ganz normale Sachen essen.
Doch die normalen Sachen sind nicht mehr normal. Überall sind diese neuen zuckerähnlichen Substanzen enthalten, die aus den Labors stammen und die Supermärkte geflutet haben. Niemand merkt es, weil keiner die Bezeichnungen versteht. Es sind die anderen Zuckerarten, wie die Fruktose, aber auch sogenannte Zuckerersatzstoffe mit Bezeichnungen wie Xylit, Mannit, Maltit, manche sind nur Zutaten und Zusatzstoffe, wie die modifizierte Stärke oder das Maltodextrin, und manche gelten sogar als gesunde Zusätze, wie die Fructooligosaccharide (FOS) oder das sogenannte Inulin. Das muss aber gar nicht auf dem Etikett stehen. Da kann auch nur stehen: »Ballaststoffe«. Was ja supergesund klingt. Außer für Willi und seine Leidensgenossen.
Auch wenn Fruktose drin ist, muss nicht Fruktose draufstehen. Sie ist auch enthalten, wenn da »Glukosesirup« steht. Oder »Invertzucker«, auch »Invertzuckersirup«. Oder »Oligosaccharide«. Oder »Oligofruktose«. Wenn da »Reissirup« steht oder »Weizensirup«, kann das Produkt Fruktose enthalten – oder auch nicht. Es ist jedenfalls keine Garantie für Fruktosefreiheit. Zur weltweiten Ausbreitung des Leidens am Fruchtzucker hat vor allem jenes industrielle Süßungsmittel beigetragen, das als »Glukose-Fruktose-Sirup« bezeichnet wird oder als »Fruktose-Glukose-Sirup«, je nachdem, ob mehr Glukose oder Fruktose drin ist. Das ist beispielsweise in Kölln Müsli Knusper Klassik enthalten. Oder im Kühne Rotkohl Das Original. In Kellogg’s müslix Classi. Und in den berühmten Haribo Goldbären.
Dieser Industrie-Sirup ist in den USA besonders in Verruf geraten. Dort werden Softdrinks damit gesüßt. HFCS ist das Kürzel, das dort jetzt die Konsumenten zusammenzucken lässt. HFCS bedeutet »High Fructose Corn Sirup«, zu Deutsch stark fruktosehaltiger Maissirup. Es handelt sich um chemisch verwandelten Mais. Mais ist ja sehr billig, wird sogar subventioniert, vor allem in den USA, und wurde daher ein beliebtes Ausgangsprodukt für die Zuckergewinnung und auch gleich massenwirksam, da in Softdrinks enthalten. Allein in den USA ist der Verzehr des fruktosehaltigen Maissirups dramatisch angestiegen, innerhalb von 30 Jahren von nahe null auf zehn Millionen Tonnen, zusätzlich zum normalen Zuckerverbrauch von mehr als zehn Millionen Tonnen. Vor allem er gilt als Ursache für das steigende Übergewicht von amerikanischen Teenagern.
In Deutschland gibt es in der Cola keinen High Fructose Corn Syrup, sondern Zucker, versichert die Firma Coca-Cola. Das macht die Sache allerdings auch nicht besser, meint der Zuckerkritiker Robert Lustig: »Die Frage, was besser ist für uns, ist Unsinn. Beides ist gleich schlecht für die Gesundheit.«
Mittlerweile steigt auch der Konsum der neuen Zuckerarten in Europa. Mit der Liberalisierung des Zuckermarktes wird mehr Fruktose zugelassen: Das Plus von 300 000 Tonnen entspricht dem Fruktosegehalt von fünf Millionen Tonnen Äpfeln – mehr als dem
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