Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
normale Zucker.
Selbst wenn die Menschen also dem Zucker entgehen wollen, erscheint er plötzlich wieder aufs Neue, wie bei der Hydra mit den vielen Köpfen, jenem schlangenähnlichen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, und wenn einer ihm einen Kopf abschlug, dann wuchs an anderer Stelle ein neuer nach.
Die Zuckerbelastung der Bevölkerung wächst dadurch natürlich weiter. Insgesamt werden es immer mehr Zuckersorten, es sind ja auch nicht nur die Rüben und das Rohr, die zu Zucker werden, es ist auch der Mais, der Weizen, der Reis, alles lässt sich mit den Mitteln der Chemie in Zucker verwandeln, in süßen oder weniger süßen. Oder der Chicorée, sogar die Zichorienwurzel, die ursprünglich für den Ersatzkaffee (Muckefuck) verwendet wurde. Die kommen jetzt bei Südzucker zum Einsatz, dem Branchenführer in Europa.
Viele dieser chemisch erzeugten Zuckervarianten dienen nicht in erster Linie dem Genuss. Sie haben auch »technische Vorzüge«, lobt Südzucker. Manches klingt dann ein bisschen nach Tankstelle oder Autowerkstatt, zum Beispiel die »erhöhte Lagerstabilität« oder die »optimale Viskosität« oder die »verbesserte Stabilität gegenüber Hitze, Säuren, Enzymen«.
Südzucker ist nach eigenen Angaben »Weltmarktführer« bei solchen Sachen, etwa bei »Inulin« und »Oligofruktose«. Auch das kennt kein Mensch. Auch das gibt es auf dem Wochenmarkt nicht zu kaufen. Hat also mit normalem Essen nichts zu tun. Soll aber gut sein, versichert Südzucker und verweist auf die »ernährungsphysiologischen Vorteile« seiner Erzeugnisse, die als »Ballaststoff« gelten und sogar »prebiotisch« wirkten. Das klingt nun wirklich sehr gesund. Jedenfalls für die, die mit dem Darm keine Probleme haben. Wenn dort allerdings ohnehin schon Aufruhr herrscht, weil etwa bestimmte Bakterien sich über die Fruktose hermachen und dabei Gase und üble Gerüche und mehr verursachen, bei Leuten wie Willi Rust etwa, dann wird es durch »Inulin« oder »Oligofruktose« nicht besser.
Aus Sicht der Fruktosekranken ist Inulin eigentlich nichts anderes als »versteckte Fruktose«, so der Innsbrucker Mediziner Maximilian Ledochowski. »Von der Nahrungsmittelindustrie«, sagt Ledochowski, werden solche »präbiotischen« oder »prebiotischen« Substanzen als günstig dargestellt, »da in einzelnen Studien gezeigt werden konnte, dass sie zu vermehrtem Wachstum von Lactobazillen und Bifidusbakterien führen können«. Wenn Inulin als wachstumsfördernder Faktor für »gute Bakterien« gilt, trifft das natürlich für die »schlechten Bakterien« in gleichem Maße zu, sagt Ledochowski: Das bedeutet, dass bei Leuten wie Willi, die an der sogenannten Fruktosemalabsorption leiden, bei denen sich Bakterien im Bauch über den Fruchtzucker hermachen, auch bei Oligofruktose und Inulin »eine Verschlechterung der Beschwerden zu erwarten« ist.
Die Natur wiederum kann auch hier keinen Schaden anrichten, meint Fruktose-Experte Ledochowski: »Die in der Natur vorkommende Menge an Inulin und Oligofruktose ist im täglichen Verzehr fast zu vernachlässigen, da heutzutage kaum jemand täglich Rucola, Löwenzahn, Chicoréewurzel oder Artischocken in größeren Mengen zu sich nimmt. Lediglich bei den Lauchgewächsen (Zwiebel, Lauch, Knoblauch) sollten Patienten mit Fruktosemalabsorption vor allem in der anfänglichen Phase der diätetischen Therapie Zurückhaltung üben.«
Der »überwiegende Teil« dieser Zusätze werde »heutzutage durch künstlich angereicherte Müslis, Ballaststoffriegel und Joghurts« zu sich genommen, die an wohlklingenden Bezeichnungen wie »präbiotisch«, »symbiotisch«, »bioaktiv« oder »ballaststoffhaltig« zu erkennen sind. Die Südzucker-Tochter Beneo hat Tochtergesellschaften in den USA und in Singapur. 350 Produkte enthalten schon diese Zusätze, in Europa und Südamerika, in Asien und den USA. 320 000 Tonnen Inulin werden davon jährlich verkauft in der Europäischen Union. Die Artischocken fallen demgegenüber tatsächlich nicht so ins Gewicht mit einer Welt-Jahresproduktion von 1,3 Millionen Tonnen und einem Inulingehalt von 6,8 Prozent – insgesamt 88 400 Tonnen. Ein Hauptvorzug sei der »Clean Label«-Effekt. Das bedeutet, das Etikett wird sauber. Es muss nur »Ballaststoffe« draufstehen.
Für jene 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung, die wie Willi Rust an der Fruktosekrankheit leiden, wird das Leben dadurch natürlich nicht leichter. Bei ihnen stehen ja viele dieser neuen Stoffe auf dem
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