Gargantua Und Pantagruel
Läuterungsurteil, Geständnis, Rügen und mehr dergleichen Zuckerbrot und Annehmlichkeit auf beiden Seiten, wie die Pflicht des guten Richters es erheischt ( ejus quod not Spec. de ordination. ), so leg' ich in meiner Schreibstube sämtliche Akta des Beklagten auf ein End des Tisches und werf zuerst für ihn, wie ihr andern Herrn ( not. l. favorabiliores ). Wann dies geschehen, leg' ich, just wie ihr andern Herrn, des Klägers Akta aufs andre End ( opposita juxta se posita magis elucescunt ), und werfe für ihn zu gleicher Zeit auf die gleiche Weise.«
»Aber woran«, frug Breitmaul, »Freund, erkennt Ihr die Dunkelheit der von den Parteien bestrittenen Rechte?« – »Wie ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »daraus, daß auf beiden Seiten viel Akta liegen. Dann nehm' ich, wie ihr andern Herrn, meine kleineren Würfel zur Hand ( Lex sempere in stipulationibus ff. de regulis juris ). Ich hab' auch noch andere große Würfel, mit denen werf' ich, wie ihr andern Herrn, wenn die Sach schon spruchreifer ist, das heißt, wenn nicht so viel Akta da sind.« –
Da frug Breitmaul: »Und wie faßt Ihr das Urteil ab?« – »Wie ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »ich geb's für den ab, für den ich den höchsten Wurf getan habe. Also erfordert's unser Recht ( ff. qui pot. in pig. l. creditor. c. de consul. l. 1 ).«
Einundreissigstes Kapitel
Wie Gänszaum die Gründe angibt, warum er die Prozesse erst durchsähe, die er durchs Los der Würfel entschied
»Ganz gut, mein Freund«, frug Breitmaul weiter; »wenn Ihr nun aber nach Los und Würfeln Eure Urteile macht, warum würfelt Ihr nicht gleich ohne weiteren Verzug am Tag und Termin, wenn die Parteien vor Euch erscheinen? Wozu braucht Ihr erst diese Schriften und all den Aktenwust?« – »Wozu ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »sie gleichfalls braucht, zu drei besondern, trefflichen Dingen. Erstens zur Form, in deren Ermangelung nichts gültig ist, was man getan hat ( Spec. 1 tit. de instr. edit. ). Zudem wißt ihr selbst am besten, wie oft in Prozessualibus Formalia die Materialien und Substanz umwerfen ( Forma mutata mutatur substantia ).
Zweitens, just wie euch andern Herrn, dient mir's zu einer heilsamen und wohlanständigen Leibesbewegung.
Zum Beispiel: als ich einstmals Anno 1489 bei den Herrn Schössern auf dem Rentamt ein Geldsache hatte und durch ein größeres Trinkgeld an den Türsteher hineingelangte, fand ich sie all beim Muckenspiel, das sie zu heilsamer Leibesbewegung vor oder nach Tisch trieben. Denn nota bene das Muckenspiel ist ein wohlanständiges, gesundes, altes und rechtliches Spiel ( a Musco inventore ). Die es spielen, sind vor Gericht entschuldigt ( l. 1. C. de excus. artif. lib. 10. ). Doch um mich zusammenzufassen, behaupt' ich mit euch andern Herrn, es gibt in unsrer ganzen Ratswelt kein so erlesenes Spiel als Akten kramen, Zettel heften, Seiten paginieren, Aktenständer räumen und Prozesse visieren ( ex Bart. et Joan. de Pra. in l. falsa ).
Drittens erwäg' ich, wie ihr andern, daß die Zeit alle Dinge zur Reife bringt, alles durch Zeit ans Licht kommen muß, die Zeit der Wahrheit Mutter ist ( gloss. in l. 1. C. de servit, authent. de restit. ). Deshalb, wie auch ihr andern Herrn, verschieb', verspät' und vertag' ich das Urteil, daß der Prozeß, fein durchgeklaubt und klein geschrotet, im Lauf der Zeit zur Reife gedeihe. Denn wollt' man gleich auf frischer Tat so roh und grün den Spruch drauf setzen, so könnte leicht der Nachteil draus entstehn, der nach der Erfahrung der Ärzte eintritt, wenn man ein Geschwür vor der Zeit aufstechen und die bösen Säfte, ehe sie noch recht gar geworden sind, aus dem Leib abzapfen wollte ( Authent. haec constit. in Innoc. de constit. princ. ). Zudem lehrt die Natur uns, das Obst zu brechen und zu essen, wann es reif ist ( Inst. de rer. div. § is ad quem ), und die Töchter zu verehelichen, wann sie reif sind ( ff. de donat. inter. vir. et. uxor. l. cum hic status ).«
Zweiunddreissigstes Kapitel
Wie Gänszaum die Geschichte von dem Prozeßvergleicher erzählt
»Dabei fällt mir ein«, fuhr Gänszaum fort, »wie ich noch unter dem Magister Strafgesetz die Rechte studierte, da war in Semerve einer namens Peter Bumbaum, ein respektabler Ehrenmann und braver Bauer, schon etwas bei Jahren, wohl angesehen, der, wie er sagte, den werten Mann Lateran-Konzil in seinem großen roten Hut noch wohl gekannt habe, samt dessen Weib, der guten Dame Sanktio Pragmatika in ihrem
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