Gargantua Und Pantagruel
treibt ihn dazu an? Was reizt ihn? Was bewegt ihn? Ho ho ho, mein Gott, mein Heiland! Hilf mir, rat mir, erleucht mich, was hier zu tun! Ich protestier', ich schwör' vor dir, so wollest du mir gnädig sein, als ich ihm jemals ein Leids getan, noch seine Leut geschädigt oder in seinen Staaten ein Unbill verübt hab'. Sondern im Gegenteil, hab' ich ihm mit Gab und Gunst, mit Rat und Tat überall treulich beigestanden, wo ich sein Bestes nur absehen mocht'. So er nun solcherweis' mich kränket, muß es vom bösen Geist herkommen. Wäre er etwa toll geworden, und du, guter Gott, hättest mir ihn dahergeschickt, ihm das Gehirn zurechtzusetzen, o so verleihe mir Kraft und Weisheit, ihn unter das Joch deines heiligen Willens durch gute Zucht zurückzubringen! Ach, mein Alter sollt' hinfür nur Ruh erfordern, und all mein Lebtag hab' ich mir nichts so eifrig gewünscht als Frieden zu haben; aber ich seh nun, es muß wohl sein, daß ich jetzt noch meine armen, schwachen, müden Schultern mit der Last des Harnisch beschweren und in die zitternde Hand den Speer und die Axt zu Schutz und Schirm meines armen Volkes nehmen muß. Die Billigkeit erheischet es; denn von ihrer Arbeit werd' ich erhalten, ihr Schweiß ernähret mich samt meinen Kindern und Hausgesind. Dennoch will ich keinen Krieg anfangen, ich hab' denn noch zuvor erst alle Weg und Mittel zum Frieden versucht. Des entschließ ich mich.«
Demnach berief er seine Rät und hielt ihnen das Geschäft so vor, wie's stund. Da ward beschlossen, man sollt' einen klugen Mann an Pikrochol senden, zu erforschen, warum er sich so plötzlich aus seiner Ruh erhoben und in ein Land einbräch', daran er keinerlei Recht hätt'. Weiter sollt' man den Gargantua und seine Leut aufrufen lassen, daß sie des Landes in solcher Not zu wahren und es zu schirmen kämen. Welches alles dem Grandgoschier gefiel, und er befahl, ihm nachzukommen. Fertigt' also auf der Stell den Basker, seinen Lakaien, an Gargantua ab, in aller Schnell ihn abzurufen, und schrieb ihm wie folget.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Inhalt des Briefs, den Grandgoschier dem Gargantua schrieb
Wiewohl der Eifer Deiner Studien erfordert hätt', daß ich noch in langer Zeit Dich nicht von dieser Deiner philosophischen Ruh abziehen sollte, so hat dennoch das Vertrauen in unsre alten Freunde und Verbündete gegenwärtig die Sicherheit meines Alters hintergangen. Und weil nun dies des Schicksals Schluß ist, daß ich von denen, derer ich mich zumeist getröstet, betrübt werden soll, zwingt mich die Not zum Schutz von Land und Leuten, die durch natürliches Recht Dein eigen sind, Dich heimzurufen. Denn gleichwie äußerliche Wehr ohnmächtig ist, wo guter Rat nicht im Hause wohnet, so bleibt auch das Studieren vergebens und der Rat unnütz, wenn er nicht zur rechten Zeit durch Tugend vollstreckt und ins Werk gesetzt wird. Mein Zweck ist nicht Beleidigung, sondern Sühne, nicht Überfall, sondern Verteidigung; nicht Eroberung, sondern Verwahrung meiner treuen Untertanen und Erblandschaften, in welche Pikrocholus ohn allen Grund noch Anlaß feindlich eingebrochen und noch tagtäglich sein wütiges Treiben mit unerträglichem Unfug fortsetzt.
Ich hab' mich verbunden geachtet und hab' ihm zu Begütigung seiner cholerischen Tyrannei alles erboten, was ich nur dachte, daß ihm genehm war, auch bei ihm zu mehren Malen durch gütliche Botschaft erkundigen lassen, worin, durch wen und wie er sich für beleidigt hielt: hab' aber nichts als frechen Trutz von ihm zur Antwort erhalten können, und daß er nur mein Land begehrt', weil es ihm anstünd. Daraus ich denn ersehen hab', daß ihn der ewige Gott in die Gewalt seines Eigendünkels und zügellosen Willens gegeben hat – welcher nicht anders als bös sein kann, wenn er durch göttliche Gnad nicht stets regieret wird – und ihn mir zur Beschwer gesendet, damit er soll zur Erkenntnis geführet werden. Derhalben, mein geliebter Sohn, komm des ehesten, so Dir nur möglich – alsbald auf Lesung dieses Schreibens – zurück zum Beistand, weniger meinetwillen, was Du gleichwohl kindlicher Lieb nach schuldig bist, als für die Deinen, die Du von Rechts wegen beschützen und schirmen magst. Mit mindest möglichem Blutvergießen wollen wir die Sach zu schlichten suchen, und wo nur tunlich auf kürzerem Weg, durch Handstreich und durch Kriegeslisten, alle Seelen erretten und fröhlich in ihre Heimat ziehen lassen.
Vielgeliebter Sohn, der Friede Christi unsers Erlösers sei mit Dir. Grüße von
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