Garnet Lacey 04 - Biss in alle Ewigkeit
wenn die ganze Sache nicht stattfand.
Mir stockte bei diesem Gedanken der Atem. War die Hochzeit tatsächlich kein Thema mehr?
Plötzlich hörte ich den markanten Ruf eines Kardinals. Ich suchte die kahlen Baumkronen nach einem rot gefiederten Vogel ab. Dann entdeckte ich ihn. Ein leuchtender Farbpunkt hoch oben auf einer nackten Pappel. Als hätte er meinen Blick gespürt, erhob er sich in die Lüfte und verschwand im Nebel.
Ich stand mitten auf dem vereisten Bürgersteig und starrte auf den Punkt, an dem der Vogel vom Nebel verschluckt worden war. Alles war kurz vor Sonnenaufgang mucksmäuschenstill. Sogar die in leuchtenden Farben gestrichenen viktorianischen Häuser wirkten matt und stumm. In der Luft hing ein Geruch, der erneuten Schneefall ankündigte.
Wie würde mein Leben ohne Sebastian aussehen? So wie der Kardinal im Schnee brachte er Farbe in meinen Winter. Wenn ich ihn aus meinem Leben entwischen ließ, dann würde Teréza gewinnen. Ihr Fluch würde nicht gebrochen werden, stattdessen würde der Fluch mich brechen.
Lilith rumorte unter meiner Haut, doch diesmal fühlte es sich mehr wie ein Weckruf an. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn ich mir von Teréza meinen Mann wegnehmen ließ.
Ich ging weiter bis zur State Street und zum Mercury Crossing. Obwohl die Sonne allmählich höher stieg, hielt sich die dicke Suppe unverändert. Dort, wo der Gehweg geräumt worden war, legte sich der Nebel auf die Steinplatten und bildete eine hauchdünne Eisschicht, die man fast nicht sehen konnte, was sie so tückisch machte. Zwei Mal rutschte ich aus und musste wie wild mit den Armen rudern, um nicht den Halt zu verlieren. Aber meine Stiefel hatten griffige Sohlen, und so wurde ich vor peinlichen Bruchlandungen bewahrt. Ich war tatsächlich jenen Hausbesitzern dankbar, die nach dem jüngsten Schneefall gar nicht oder nur nachlässig geräumt hatten, denn der Schnee bot beim Gehen viel mehr Halt als die freigeschaufelten Stellen. Selbst auf dem aufgehäuften und festgetretenen Schnee kam ich besser voran.
Mit meinem Schlüssel verschaffte ich mir Zutritt zum Geschäft. Ich deaktivierte den Alarm und schaltete einen Teil der Beleuchtung an, dann stand ich einen Moment lang da und nahm das Aroma des Ladens in mich auf. Ich liebte den Geruch der Bücher, wenn er sich mit dem Duft des Sandelholzweihrauchs vermischte. Das Ganze bekam eine noch angenehmere Note durch die Tatsache, dass ich mich vor ein paar Monaten mit dem früheren Eigentümer Eugene geeinigt hatte. Mercury Crossing gehörte jetzt ganz allein mir.
So wie fast alle Geschäfte in der State Street war auch dieses Ladenlokal klein und beengt. Die Gänge fielen so schmal aus, dass ein Rollstuhl nur mit Millimeterarbeit hindurchmanövriert werden konnte, und ich musste konsequent jede freie Fläche nutzen, um mein Angebot zu präsentieren. Windspiele hingen von der Decke herab, mit Federn verzierte Masken und der Göttin gewidmete Kunstwerke waren hoch oben an den Wänden aufgehängt, und der restliche Platz wurde von Regalen beansprucht. Es gab Bücher, Tarotkarten, Schmuck, rituelle Messer, Becher, Grußkarten, Gebetsmatten, Statuen der Göttin, polierte Steine, getrocknete und in Fläschchen abgefüllte Kräuter, Topfpflanzen und jeden erdenklichen magischen Klimbim. In der Kinderabteilung fanden sich sogar heidnisch angehauchte Plüschtiere.
Nachdem ich hinter mir abgeschlossen hatte, zog ich die Jacke aus und verstaute sie hinter der Theke. Dann schob ich die Ärmel hoch und machte mich an die Arbeit.
Wenn ich mich aufgeregt oder geärgert hatte, kam ich am besten wieder zur Ruhe, indem ich putzte oder aufräumte. Auch wenn ich das Gefühl hatte, gegen Terézas Fluch ankämpfen zu müssen, war ich mir noch immer nicht im Klaren darüber, wie ich zu Sebastian stand. Vielleicht war die Hochzeit ja wirklich eine überstürzte Aktion. Nachdem ich mit Lilith eins geworden war, konnte es durchaus sein, dass mich eine viel größere Lebensspanne erwartete. Warum also diese Eile? Womöglich war es besser zu warten, bis ich die Gewissheit hatte, dass Sebastian tatsächlich der Richtige war.
Es erschien mir so vernünftig, doch der Gedanke daran, wem ich alles eine Absage würde schicken müssen, ließ meine Hände zittern, während ich den Staub von der Theke wischte.
Mein Gehirn stand vor der Kernschmelze, sodass ich tief durchatmen musste. Darüber konnte ich mir später immer noch den Kopf zerbrechen. Im Moment musste ich mich im Büro hinter
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