Garnet Lacey 04 - Biss in alle Ewigkeit
hatte völlig vergessen, dass ich noch immer dick eingemummelt war. Nachdem ich den Becher auf den Wohnzimmertisch aus Chrom und Glas gestellt hatte, zog ich den Parka und die Stiefel aus. William nahm mir alles ab und verstaute es im Schrank an der Tür. Ich nahm im Schneidersitz auf dem Sofa Platz und nippte an meinem Kakao.
„Ich frage mich, wie lange sie wohl verliebt waren“, sagte ich zu mir selbst. „War er bei ihr geblieben, um Mátyás’ Geburt mitzubekommen?“
William setzte sich zu mir aufs Sofa. Auf seinem Becher war das Grundgesetz zu sehen; die Schrift verschwand jedoch langsam, als die Wärme des Getränks die Becherwand durchdrang. „Izzy sagt, dass Mátyás erst geboren wurde, nachdem Teréza gestorben war.“
Bei dem Gedanken daran zog ich die Nase kraus. „Was? Wie soll das möglich sein?“
„Tja, ich schätze, das kommt schon mal vor, wenn eine Schwangere ins Koma fällt. Und wenn man ihn erzählen hört, dann war sie nicht so ganz tot.“
„Das erklärt einiges, was Mátyás angeht“, überlegte ich, da ich mich daran erinnern konnte, dass er selbst auch gewisse magische Kräfte besaß, insbesondere die Fähigkeit, in die Träume anderer Leute einzudringen. „Also muss Sebastian dabei gewesen sein. Um sich um den Jungen zu kümmern und so weiter, nicht wahr?“
William schüttelte den Kopf. „Die Familie seiner Mutter nahm den Jungen bei sich auf.“
Diese Unterhaltung war alles andere als hilfreich. Ich wollte etwas in der Richtung hören, dass Sebastian wegen einer langen und romantischen Vergangenheit wieder in Terézas Armen gelandet war, doch je mehr mir William darüber erzählte, desto stärker klang es danach, dass sie für Sebastian nur ein One-Night-Stand gewesen war. „Das kann nicht sein“, wandte ich ein. „Ich meine, Sebastian muss doch lange Zeit um Teréza geworben haben. Er hat davon erzählt, dass ihr Vater ihn dazu veranlasste, ihre Sprache zu lernen. Er ist zwar intelligent, aber das muss doch einige Zeit in Anspruch genommen haben, oder glaubst du nicht? Außerdem waren sie einander versprochen, oder sie waren verlobt oder was auch immer. So was geschieht nicht über Nacht.“
„Vielleicht doch, wenn man schwanger ist.“
„Jesus“, sagte ich. „Meinst du, Sebastian war so ein Typ, der in die Stadt geritten kommt und als Erstes ein Mädchen schwängert?“
„Weniger in die Stadt, als vielmehr ins Zigeunerlager.“
Einen Moment lang bekam ich den Mund nicht mehr zu, währenddessen ging mir eine Zeile aus Chers Song Gypsies, Tramps and Thieves durch den Kopf, die davon handelt, dass all die Männer vorbeikommen und ihr Geld dalassen. „Das klingt richtig geschmacklos“, musste ich zugeben.
Mit einem Schulterzucken trank William wieder einen Schluck Kakao. „Vielleicht solltest du ihn mal darauf ansprechen.“
Ich betrachtete meinen Becher, in dem mein Kakao allmählich abkühlte. „Ja, vielleicht sollte ich das.“
Offenbar gab es einiges, was ich nicht über den Mann wusste, dem ich das Jawort geben wollte. In den letzten Tagen hatte ich herausfinden müssen, dass er unter Rommel in Afrika
gedient hatte und dass er sich irgendwann in Zigeunerlagern herumgetrieben hatte. Was gab es noch alles, das ich über ihn wissen sollte? Konnte ich überhaupt von mir behaupten, Sebastian zu kennen?
„Allerdings finde ich es ganz richtig, wenn du ihn eine Weile schmoren lässt“, fügte William dann mit dem Anflug eines Lächelns hinzu.
Ich musste grinsen, und wir stießen mit unseren Kakaobechern an.
Später brachte William mich mit einem Monsterfilm auf andere Gedanken. Dazu machte er Popcorn, und wir tranken Limonade. Aber anstatt mich über die grausame Synchronisation und über das Pappmachémonster schief und krumm zu lachen, starrte ich auf einmal auf den Verlobungsring an meinem Finger und begann wieder zu weinen.
„Meine Hochzeit kann ich absagen, nicht wahr?“
„Was?“
„Nichts“, gab ich zurück, wischte mit den Fingerspitzen meine Tränen weg und griff nach meinem Handy. Als der Film anfing, hatte ich es auf stumm geschaltet, und jetzt wurden mehrere entgangene Anrufe angezeigt - alle von Sebastian.
William fiel auf, wie gedankenverloren ich auf das Display starrte. Er rieb sich die Nase und schaltete den Fernseher aus, obwohl Tokio noch nicht komplett plattgemacht worden war. „Ich geh jetzt duschen, und dann lege ich mich schlafen.“
„Okay“, erwiderte ich. „Übrigens ... danke.“
Er lächelte mich müde an.
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