Garnet Lacey 04 - Biss in alle Ewigkeit
Geist und das Hier.
Ich ließ mich im Schneidersitz nieder, nahm fünf Kerzen heraus und platzierte vier davon so um mich herum, dass sie nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren, während ich die
fünfte in die Mitte vor meine gekreuzten Fußgelenke stellte. Ich zündete sie der Reihe nach an, wobei ich im Osten begann. Während ich für jede Kerze ein neues Streichholz nahm, stellte ich mir vor, wie mich ein schützender Kreis umgab.
Auch wenn Liliths Macht meine Magie verstärkt hätte, ließ ich SIE weiterschlummern. SIE war keine Göttin, die etwas beschützen wollte. Ganz im Gegenteil, SIE trachtete danach, zu zerstören. Zwar war SIE die Mutter der Dämonen, zu denen womöglich auch Teréza zählte, jedoch musste ich eingestehen, dass ich IHR nicht über den Weg traute. Zu oft ging etwas schief, wenn Lilith sich in einen meiner Zauber einmischte.
Nachdem alle Kerzen brannten und ich den Kreis sah, schloss ich die Augen. Ich stellte mir Teréza und Sebastian vor, wie sie unter dem Schnee lagen. Als Kind hatte ich hin und wieder Zeit in Iglus verbracht, die eigentlich nichts anderes gewesen waren als Löcher, die ich in die aufgetürmten Schneeberge am Straßenrand gegraben hatte. Ich erinnerte mich noch gut an das Eis unter meiner Skihose und das heiß-kalte Gefühl von Schweiß an einem frostigen Tag. Es roch nach Nässe, und an sonnigen Tagen drang die Helligkeit bis tief in den Schnee vor. Aber für die beiden würde es so nicht sein.
Wenigstens war der Himmel heute bedeckt. Von Parrish wusste ich, dass die Art des Lichts für einen Vampir ohne Bedeutung war. Auch wenn Hollywood das gern anders darstellte, war es egal, ob die Sonne schien oder ob es regnete. Es war für einen Vampir Licht, und Licht konnte ihn töten.
Was sie benötigten, war ein Schild, der keinen einzigen Lichtstrahl durchließ. Das erste Bild, das mir durch den Kopf ging, war Athena, auf deren Schild der Kopf der Medusa zu sehen war. Eine Göttin hatte ich also schon mal gefunden, jetzt musste ich sie nur noch davon überzeugen, Teréza zu helfen.
In der Nacht, als mein Zirkel angegriffen worden war, war es für mich kein Problem gewesen, Lilith herbeizurufen. Aber das war ein verzweifelter Hilfeschrei gewesen. Ich hatte ein SOS gesendet, keinen Zauber zurechtgelegt. Das war mit ein Grund dafür, dass Lilith jetzt ein Teil von mir war. Wenn ich nun mit einer anderen Göttin Kontakt aufnahm, dann musste ich in vielerlei Hinsicht sehr vorsichtig sein. Noch einen Untermieter konnte ich nämlich beim besten Willen nicht gebrauchen.
Allerdings wusste ich eigentlich gar nicht, wie man eine Göttin ganz gezielt zu sich rief.
Also meditierte ich und versuchte, den Moment aus meinem Gedächtnis hervorzukramen, als ich Lilith zu mir gerufen hatte. Mein Bewusstsein wurde durch meine Angst erweitert, aber so besorgt ich auch um Teréza war, konnte ich nicht das Gefühl heraufbeschwören, von dem ich seinerzeit angetrieben worden war.
Ich begann zu summen, ich wiegte mich vor und zurück. Ich beobachtete, wie die Flammen zuckten. Noch immer war ich müde, und ich merkte, wie ich durch die leisen Geräusche, die meine Eltern im Stockwerk unter mir verursachten, allmählich abdriftete.
Als mein Kinn meine Brust berührte, sah ich sie. Sie war eine Vision, aber sie sah nicht ganz so aus, wie ich sie mir eigentlich vorgestellt hätte. Sie war groß und stämmig, und sie hatte Muskeln, als hätte Madonna eine Großpackung Steroide geschluckt. Volle, schwarze Locken quollen unter dem Bronzehelm mit Federbusch hervor, sie trug einen Rock wie Russell Crowe in Gladiator - und ihre Arme und Beine waren fast genauso stark behaart. In einer Hand trug sie einen gigantischen Speer, mit der anderen hielt sie den Schild fest, der aber von mir weg wies. Auf ihrer breiten Schulter saß eine Eule.
„Ähm“, begann ich bei diesem prachtvollen Anblick der Göttin. „Hi?“
Sie nickte, als verstünde sie mich. Gleichzeitig deutete ihr Blick an, dass ihre Zeit kostbar war und ich besser zur Sache kommen sollte, wenn ich nicht von ihr aufgespießt werden wollte.
„Ich habe da diese Freunde, weißt du?“, sagte ich und erzeugte gleichzeitig ein geistiges Bild von Sebastian und Teréza, wie sie unter dem Schnee zusammengekauert liegen mussten. „Die zwei... nun, eigentlich muss vor allem sie vor dem Licht geschützt werden, weil sie sonst stirbt.“
Als Athena mich „sie“ sagen hörte, wurde sie aufmerksamer, so als wäre die Göttin mehr daran
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