Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
gehen.«
Auch wenn Mátyás zunächst die Augen verdrehte, da ihm mein Spruch offenbar nicht poetisch genug war, folgte er mir mit dem gleichen Tempo auf meinem Weg um den Kreis herum. William, der mit leichter Verzögerung bemerkte, dass sich etwas tat, schloss sich uns an, und so umrundeten wir die kämpfenden Göttinnen, während wir immer wieder denselben Satz herunterleierten.
Lilith griff erneut an, sprang in die Luft und versuchte, Athena gegen den Kopf zu treten. Die konnte aber noch gerade rechtzeitig ihren Schild hochreißen.
Gleichzeitig hob sie die Lanze, sodass ich schon fürchtete, Lilith könnte aufgespießt werden, doch wie einer von diesen Filmstars aus Hongkong, die an Drähten festgemacht sind, wirbelte SIE in der Luft umher und wich der Attacke aus.
Vielleicht irrte ich mich ja, dennoch hatte ich das Gefühl, dass unsere Worte Lilith zusätzlich Kraft und Schnelligkeit verliehen. Davon ermutigt wurde ich schneller und leierte meinen Spruch mit etwas mehr Nachdruck herunter. William nickte mir zu, als wollte er sagen, dass er zwar das eine oder andere verpasst haben mochte, diesen Teil jedoch begriffen hatte. Ich lächelte ihn an und zweifelte nicht im Mindesten daran, dass er verstand, was wir hier machten - dass wir nämlich Energie sammelten, was ein grundlegender Schritt bei jedem Ritual war, damit es überhaupt funktionieren konnte.
Das einzig Unerfreuliche daran war, dass es sich auch auf die Geister auszuwirken schien. Aus deren leisem Stöhnen war inzwischen ein deutliches Heulen geworden. Der Wind zerrte an meiner Kleidung, während wir unbeirrt im Kreis gingen.
Mátyás stampfte im Rhythmus des Sprechchors auf den Boden auf, wechselte jedoch zu irgendeinem anderen Text in der Sprache der Roma. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn er auf eine solche Weise vom Drehbuch abwich. Sein Gesang war wunderschön, unheimlich und auch ein bisschen traurig, aber ich hatte keine Ahnung, welcher Zauber dabei herauskommen würde.
Athena schien sich davon ebenfalls ablenken zu lassen, was Lilith nutzte, um einen weiteren Treffer zu landen. Der Hieb hätte in Athenas Bauch gehen sollen, doch diesmal prallten IHRE Knöchel mit einem hohlen Scheppern von Athenas Panzerung ab. Athena machte sich nicht mal die Mühe, getroffen auszusehen. Ihr Blick folgte Mátyás bedrohlich; er schien sie mit seinem Gesang zu reizen.
Oh, jetzt war ich aber richtig sauer! Ich hasste es wie die Pest, wenn ich nicht wusste, was genau sich um mich herum abspielte. Das reichte nun. Sobald Sebastian wieder auf freiem Fuß war, würde ich von ihm verlangen, dass er mir die Sprache der Roma beibrachte.
Lilith hielt sich gut im Kampf, doch Athena schien ein neues Ziel entdeckt zu haben. Ich sagte meinen Spruch mit mehr Nachdruck auf, damit sie sich weiter auf mich konzentrierte, doch das zeigte nicht annähernd die Wirkung, die Mátyás mit seinem Gesang erzielte.
Als wir sie gerade ein weiteres Mal umkreisen wollten, hob Athena auf einmal ihren Speer und trieb ihn durch Mátyás’ Herz.
Es gab eine ohrenbetäubende Explosion. Weißes Licht blitzte so grell auf, dass ich mich abwenden musste.
Mátyás stand wie erstarrt da, die Augen weit aufgerissen. Dann fiel er stocksteif nach hinten und brach den Kreis, woraufhin William so abrupt stehen blieb, dass ich ihn beinahe umgerannt hätte.
»Mit diesem Opfer sind wir zufrieden«, erklärte die körperlose Stimme, dann verschwand Athena.
Unterdessen tauchte Lilith bei Mátyás auf, oder besser gesagt: neben jenem Teil seines Körpers, der noch im Kreis lag, nämlich seinen Füßen. »Sehr ehrbar, du dummer Junge«, sprach SIE leise und legte eine Hand auf seinen Stiefel. »Aber du bist immer noch mein Geschöpf.«
Währenddessen beeilte ich mich, den Kreis aufzulösen. Als ich dabei an Lilith vorbeikam, hob SIE die Hand, damit ich stehen blieb.
»Wenn du gestattest«, sagte SIE, und mit einer einzigen Handbewegung zogen sich die Hüter zurück.
Die Geister durchbrachen die Überreste der geschwächten Sphäre und umschwirrten Lilith noch einmal wie Motten das Licht. Sie streckten sich nach IHR aus und strichen über IHR Haar, IHR Gesicht und zogen am Saum IHRES Kleides. Jeden von ihnen küsste SIE im Vorbeiflug und schickte so einen nach dem anderen hinfort.
Vermutlich hätte ich verängstigt oder entsetzt sein sollen, aber ich sah, dass die Absicht meines Rituals gewahrt blieb. Während ich beobachtete, wie SIE liebevoll die Geister der Toten berührte, verspürte ich
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