Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
wollte sie jeden Moment einen Kampf beginnen. Ihr silbriger Helm funkelte ebenso im Sonnenschein wie ihre Lanze. Den Schild hielt sie seitlich von sich, dennoch konnte ich eine Andeutung der sich windenden Schlangen erkennen.
Auch wenn ihr zum Teil hinter dem Nasenschutz verborgenes Gesicht von einer majestätischen Schönheit war, wurde es dennoch von einem feurigen Ausdruck geprägt, der so finster war wie die Locken, die unter dem Helm hervorquollen. Angesichts des versteinerten Blicks, den ihre sturmgrauen
Augen erkennen ließen, musste ich mir die Frage stellen, ob ich mich womöglich geirrt hatte, dass es so einfach sein würde, sie zu verabschieden.
Wieder sagte ich für William: »Willkommen, Athena.«
Als sie vollständig Gestalt angenommen hatte, wurde sie von Lilith angezischt, der es eindeutig nicht gefiel, sich die Bühne mit einer zweiten Göttin teilen zu müssen.
Mátyás warf mir einen Blick zu, der die Frage zu übermitteln schien: »Das ist deine andere Göttin? Bist du verrückt?«
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Unterdessen ließ William nicht für einen Moment die Rauchwirbel aus den Augen, die uns umkreisten. Es waren jetzt mehr als zuvor, und sie wurden schneller, während sie wie ölige Spiegelungen auf einer Seifenblase um uns herumtanzten.
Alle warteten darauf, dass ich etwas sagte, während ich mir wünschte, ich hätte mehr vorbereitet als nur: »Hey, danke für deinen Einsatz, aber Lilith ist und bleibt meine beste Freundin.« Wie üblich war ich gezwungen, etwas zu improvisieren.
»Mächtige Athena, Göttin des Krieges und der Weisheit«, begann ich und verbeugte mich leicht vor ihr. »Niemand könnte sich eine bessere Beschützerin wünschen. Du hast Teréza aus dem Schnee gerettet und mich vor meinen Feinden bewahrt. Ich bin dir zutiefst dankbar.«
»Aber es ist nicht genug«, flüsterte mir der Wind ins Ohr, doch vielleicht waren das auch die Geister gewesen.
Ich räusperte mich und redete weiter: »Bitte nimm meinen bescheidenen Dank an.«
»Nein.«
Diesmal war die Stimme viel deutlicher. Sogar William wurde dadurch von den Geistern abgelenkt. Ich betrachtete die Ebenbilder der beiden Göttinnen. Athenas Knöchel wurden weiß, als sie den Speer fester umschlossen hielt. Einen Fuß hatte sie ein Stück nach vorn geschoben, als schickte sie sich an, mich zu töten.
Lilith setzte ein Hab-ich’s-nicht-gesagt?-Lächeln auf.
Ich hatte keine Ahnung, was ich als Nächstes tun sollte. Götter und Göttinnen sollten sich eigentlich zurückziehen, wenn man sie freundlich darum bat. Andererseits konnte ich nicht gerade die besten Ergebnisse vorweisen, wenn es darum ging, diejenigen wieder loszuwerden, die ich herbeigerufen hatte.
»Der Bruch unserer Vereinbarung verlangt ein Opfer«, verkündete die Stimme. Es war eigenartig, dass sich Athenas Lippen kein bisschen bewegten, aber inzwischen wusste ich, dass es ihre Worte waren, die ich hörte.
»Was für ein Opfer?«, wollte ich wissen.
»Wie viel ist dir eine Göttin wert, Sterbliche?«
In dem Moment trat Lilith Athena gegen das Schienbein. Bei der Göttin, wie sehr liebte ich doch diese ... ähm ... diese Göttin.
»Kein Blut soll heute vergossen werden«, erklärte Lilith. »Nur deines.«
Es schien mir kein fairer Kampf zu sein, eine kleine, stämmige Frau mit Eulenfüßen gegen eine Kriegerin in einer kompletten Rüstung. Doch als sich Athena umdrehte, um sich ihrer Angreiferin zu stellen, verpasste Lilith ihr einen Haken, der ihren Kopf mit einem lauten Knacken nach hinten warf. Es war ein sehr befriedigender Anblick, wie die größere Frau rückwärts taumelte.
Athena bekam sich aber schnell wieder unter Kontrolle und holte mit der Lanze nach Lilith aus. Die Göttin der Hölle wich der Waffe mit einem flinken Sprung aus, wobei IHR purpurnes Gewand im Wind flatterte. Ich konnte dort, wo SIE gestanden hatte, Krallenabdrücke im Schnee ausmachen.
»Ähm, wir müssen einen Gesang anstimmen oder so«, schlug Mátyás nervös vor. »Entscheide dich für eine Seite. Steh Lilith bei.«
Ich war so vor den Kopf gestoßen, meine Göttinnen in einen Zweikampf verstrickt zu sehen, dass ich völlig vergessen hatte, dass wir Lilith dabei unterstützen konnten. Wir mussten nur einen Zauber wirken, mit dem Athena gebannt wurde.
Langsam ging ich entgegen dem Uhrzeigersinn um den Kreis herum. Was die Worte betraf, beschloss ich, mich so einfach wie möglich zu fassen, also sagte ich: »Lilith wird bleiben, Athena wird
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