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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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wegzulaufen.
    »Es ist mir vollkommen egal, ob er gut aussieht. Mantel und Krawatte. Ohne Krawatte würde ich den wahrscheinlich gar nicht erkennen.«
    Eine schwarz behandschuhte Hand legte sich auf den Stamm der schönen Buche. Ein haariger Arm streckte sich langsam nach Rebeccas Nacken aus.
    »Hab ich schon. Nicht da. Der ist so gut wie nie da.«
    Der Arm schien länger zu werden, länger und dünner wie ein wachsender Ast. Alle Schafe hielten den Atem an. Die Hand erreichte Rebeccas Schulter und tippte.
    Rebecca quietschte und ließ das Sprechgerät fallen.
    »Pardon, Mademoiselle«, sagte der Häher.
    Dann stieg er über den Zaun - nicht besonders anmutig, aber auch nicht unbeholfen.
    Die Schafe starrten ihn fassungslos an: der Häher trug einen der sagenhaften Pelzmäntel aus dem Buch. Es war das seltsamste Ding, das die Schafe je gesehen hatten, geformt wie ein Mantel, mit Kragen und Knöpfen und Ärmeln, aber pelzig wie ein Tier.
    Rebecca starrte den Häher an, dann bückte sie sich nach dem Sprechgerät. Aber der Häher war schneller. Er hob das Sprechgerät aus dem Schnee. Und den Handschuh. Das Sprechgerät knackte aufgeregt. »... Ekka«, knackte es. »Ekka ... ale ... oke?« Der Handschuh schwieg.
    »Pardon«, sagte der Häher noch einmal. »Eigentlich wollte ich Sie nur bitten, meine Leute nicht mehr so zu erschrecken.«
    Rebecca atmete tief ein. »Ihre Leute erschrecken mich«, sagte sie ruhig. »Und Sie auch.«
    Sie nahm ihm das wild blökende Sprechgerät aus der Hand. »Alles in Ordnung, Franca«, sagte sie. »Jetzt nicht.« Das Sprechgerät verstummte gehorsam.
    »Das tut mir leid«, sagte der Häher. »Aber bitte verstehen Sie: wir beide, Sie und ich, sind aufgeklärte Menschen, Menschen des 20.Jahrhunderts. Meine Leute hingegen ...« Er hielt einen Moment inne und spielte mit einem kleinen, glänzenden Ding zwischen seinen Fingern.
    »Dies hier ist ein sehr alter Ort. Ein einsamer Ort. Ein Ort mit Geschichte. Nichts, was Sie sagen, wird daran etwas ändern. Bitte sehen Sie den Leuten ihren Aberglauben nach. Sie können wie Kinder sein, aber sie meinen es nicht böse.«
    »Aberglaube?«, sagte Rebecca. »Ich würde das Vandalismus nennen!«
    Der Häher trat schnell auf sie zu, und einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er sich auf die Schäferin stürzen. Doch dann ergriff er nur ihre Hand und legte etwas Silbernes hinein.
    »Oh«, sagte Rebecca.
    »Meine Karte. Sollten Sie wieder ein Problem haben, sprechen Sie nicht mit dem Personal. Rufen Sie mich an. Jederzeit. Und ich meine jederzeit. Sie sind mein Gast, und Sie sollen sich wohl fühlen.«
    Rebecca lachte kurz auf. »So eine Karte habe ich noch nie gesehen. Einen Moment habe ich gedacht, Sie geben mir ein Amulett oder so was. Gegen die bösen Geister.« Sie starrte auf die Karte. »Chirurgie esthetique?«
    »Es ist eine Karte, und zugleich ist es ein Spiegel«, sagte der Häher. »So etwas gefällt meinen Kunden. Au revoir.«
    »Glauben Sie, es wird mehr von diesen Problemen geben?«
    »Au revoir, Mademoiselle.«
    »Rebecca«, sagte Rebecca.
    »Maurice.«
    Der Häher verbeugte sich, dann wandte er sich ab und ging quer über die Weide auf das Schloss zu. Er ging mitten zwischen ihnen hindurch, ohne ein einziges Schaf zu erschrecken. Vorsichtig. Sacht. Mit der Spur eines Hinkens, das machte, dass die Schafe sich vor ihm sicher fühlten.
    Wie ein Schlangenbeschwörer, dachte Othello. Othello kannte die Welt, den Zoo und den Zirkus. Der Schlangenbeschwörer im Zirkus hatte nicht nur übergewichtige, tiefgekühlte Riesenschlangen beschworen, sondern auch Krokodile. Er war zwischen ihren geöffneten Kiefern hindurchspaziert, und keines hatte je nach ihm geschnappt. Keines war auf die Idee gekommen, nach ihm zu schnappen, so vorsichtig bewegte sich der Schlangenbeschwörer. Diese Vorsicht war die Vorsicht des Jägers. Sie war das Gegenteil von Furcht.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür des Schäferwagens, und Tess schoss heraus. Zuerst schnüffelte sie nur eine Runde um den Schäferwagen herum und kratzte sich wild am Ohr. Dann entdeckte sie den Häher, mitten auf der Weide, und rannte mit einem pflichtbewussten, wenn auch nicht besonders enthusiastischen Knurren auf ihn zu.
    Der Häher erstarrte und hob langsam die felligen Ärmel. Auf einmal roch er nicht mehr nur nach Lavendel, sondern nach Angst.
    Tess, von ihrem Erfolg berauscht, sprang triumphierend kläffend um ihn herum, bis Rebecca sie zurückpfiff.
    Der Häher senkte die Arme

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