Garou
überrascht, mitten im Raum. Das Walross walzte auf sie zu, und die beiden sprachen mit viel Arme-Schütteln und Aufeinander-Zeigen und Sich-an-den-Kopf-Fassen, bis Hortense ihren Mantel um sich wickelte und flüchtete.
Ritchfield seufzte behaglich. Er mochte die kleinen Menschen hinter den kleinen Fenstern. Und dort oben, im dritten Stock des Schlosses, in einem Fenster, das nur ganz schwach beleuchtet war, stand noch jemand, kaum mehr als ein Schatten. Sah er wirklich auf Ritchfield herab? Trotz seiner guten Augen war sich Ritchfield nicht ganz sicher. Er hatte für heute genug gesehen und trabte zurück zum Heuschuppen, vorbei an der alten Eiche, wo sich Yves wie beinahe jeden Abend im Schatten des Stammes positioniert hatte, um sich wie Ritchfield an den erleuchteten Fenstern zu erfreuen. Vor allem an Rebeccas.
11
»Er ist nicht wirklich ein Problem«, sagte Lane. »Nicht im Winter.«
Die anderen nickten.
Im Sommer wäre es eine vollkommen andere Angelegenheit gewesen. Der Gestank! Die Fliegen! Neugierige Fuchsaugen in der Dunkelheit. Aber im Winter...
Die Schafe standen in einer ungewöhnlich rosigen Morgendämmerung unter der alten Eiche und bestaunten Yves, der auf dem Bauch lag, die Beine weit gespreizt, und vor Kälte schon fast nicht mehr roch. Mit etwas Glück würde er bald unter einer Schneedecke verschwunden sein.
»Außer, sie finden ihn«, sagte Ramses. »Wenn sie ihn finden, kommen wieder Menschen mit Mützen und Schäferhunde. Und sie werden herausfinden wollen, warum er tot ist.«
Die Schafe wussten, warum Yves tot war. In der Mitte seines Rückens gab es einen roten Fleck, der noch roch, und zu diesem Fleck gehörte der Knall, der die Schafe heute mitten in der Nacht erschreckt hatte. Der Knall des Schießeisens! Aber es würde eine Weile dauern, bis die Menschen diese einfachen Zusammenhänge verstanden hatten. Und dann ...
»Sie werden Rebecca mitnehmen!«, blökte Cloud plötzlich. Das wussten sie von vielen kriminalistischen Vorlesestunden vor dem Schäferwagen. Rebecca hatte ihr Schießeisen gestern im Wald spazieren getragen, sie fand den breitschultrigen Yves »schleimig« und hatte ihn in Verdacht, im Herbst ein Stück rote Unterwäsche von ihrer Wäscheleine gestohlen zu haben. Jetzt, wo rote Sachen knapp waren, hatte sie wahrscheinlich einfach abgedrückt. Vorsichtshalber. Die Schafe verstanden Rebecca. Aber die Menschen mit Mützen würden sie nicht verstehen.
»Sie dürfen ihn nicht finden!«, blökte Cordelia. »Er muss hier weg!«
Othello senkte die Hörner und versuchte, Yves ein Stück weit zu rollen, aber Yves war widerspenstig und schon ein wenig steif und wehrte sich mit der kalten Starrsinnigkeit der Toten. Die Schafe sahen sich ratlos an. Der Tote war wirklich nicht zu übersehen, ein großer Haufen Dunkelheit auf dem morgenrosigen Weiß des Schnees.
»Wenn er wenigstens unter dem Schnee wäre«, sagte Lane. »Unter dem Schnee wäre es nicht so schlimm.«
»Wir könnten ein Loch scharren und ihn hineinschubsen«, sagte Ramses. »Vielleicht.«
Die Schafe kratzten ein wenig im Schnee, aber der Schnee war zu hart gefroren, und Yves war ganz einfach zu groß.
»Oder wir warten, bis neuer Schnee von oben kommt!« Miss Maple guckte verschmitzt in die Runde. Keine schlechte Idee! Neuer Schnee von oben kam ihnen wie eine besonders elegante Lösung des Problems vor.
»Und wann kommt neuer Schnee von oben?«, fragte Mopple nervös. Rebecca musste hierbleiben!
»Bald«, sagte Cloud und witterte in die kalte Luft. »Viel Schnee! Ich kann ihn schon riechen.«
Jetzt, wo sie es sagte, rochen die anderen es auch.
»Bald ist nicht bald genug«, blökte Lane.
Sie hatte Recht. Schon leuchteten im Schloss die ersten Lichter, und jeden Moment konnte jemand aus dem Fenster sehen und anfangen, sich über den seltsamen dunklen Knubbel unter der alten Eiche zu wundern.
Das Hoftor knarrte auf, und der Ziegenhirt trat heraus, einen großen Sack über der Schulter. Vermutlich ein Futtersack! Unter anderen Umständen hätten sich die Schafe sehr für diesen Sack interessiert, aber heute hofften sie nur, der Ziegenhirt würde damit so schnell und kurzsichtig wie möglich wieder hinter der Hofmauer verschwinden.
Der Ziegenhirt verschwand nicht. Er schlurfte rechts am Zaun entlang Richtung Ziegenweide, den Blick auf den Boden gerichtet. Eine Krähe landete in den höchsten Zweigen der alten Eiche. Schnee stäubte herab. Noch immer ging der Ziegenhirt zielstrebig am Zaun entlang.
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