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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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den Zaun gelehnt, im Abfalleimer. Bald tauchte er wieder auf, das Silberpapier zwischen den Zähnen. Er reichte es Maple durch den Zaun.
    »Und?«, fragte Mopple the Whale. »Ist da noch was da drinnen? Ich meine, etwas Interessantes!«
    »Nein«, sagte Othello. »Nichts Interessantes.«
    Dann war er auch schon wieder auf dem Rückweg, entlang am Ziegenzaun.
    Die Schafe trugen das Papier im Triumphzug zurück zum Haselstrauch und spießten es wieder auf den gleichen Zweig -eine Warnung an alle Werwölfe dieser Welt.
    Als sie gerade damit fertig waren, knarrte das Tor wieder auf, und Paul der Ziegenhirt trat heraus, sehr dick angezogen und mit einem Strick in der Hand. Die Ziegen reckten erwartungsvoll die Hälse, aber diesmal kümmerte sich der Hirt nicht um sie, sondern ging schnurstracks Richtung Wald. Die Schafe hatten Angst, dass er Othello auf der Ziegenweide ertappen würde - aber Othello war nirgends mehr zu sehen.
     

12
     
    Othello zögerte.
    Eigentlich war er nur ein paar Schritte in den Wald getrabt, um nicht vom Ziegenhirten entdeckt zu werden, aber jetzt hörte er eine Stimme. Wütend, gedämpft und nervös. Und zu der Stimme gehörte eine Spur, die nicht weit von Othello durch den Schnee führte und in einer Senke verschwand. Die Spur lockte Othello. Er wollte ihr folgen - und er wollte es nicht. Er wollte bei seiner Herde bleiben und sie vor dem Garou beschützen. Immer. Aber diese Spur war wichtig. Jemand hatte wie Othello die Weide von außen umrundet, im Schutz des Waldes. Othello schnaubte. Niemand hatte seine Weide zu umschleichen. Niemand!
    Der schwarze Widder blickte noch einmal zurück zu seiner Herde. Sie war sicher. Noch. Ein Gefühl, mehr noch, so etwas wie eine Erinnerung. Etwas, das die kleine Ziege über den Mond gesagt hatte ... Othello schnaubte und verschwand zwischen den Stämmen, hinter der Spur her. Keine Wolfsspur, so viel war klar. Eine plumpe, simple Menschenspur.
    Anders als die anderen Schafe hatte Othello einmal einen Wolf gesehen - vielleicht. Im Zoo, vor langer Zeit. Sicher war er sich nicht. Othello war sehr jung gewesen - mit vier spitzen Hörnchen, die gerade erst zu wachsen begonnen hatten -, schwärzer und neugieriger als ein Rabe. Deshalb war er nicht wie der Rest der Herde ans andere Ende des Geheges geflohen, als die Witterung den Weg heraufwehte. Der Witterung folgte ein summendes Gefährt mit zwei Menschen vorne und einem Käfig hinten. Und in dem Käfig stand ein Wesen, bei dessen Anblick sich alles an Othello sträubte. Alles. Jedes Haar in seinem Fell. Das Wesen war groß, groß und schön, ein bisschen wie ein Hund, aber auch sehr anders als ein Hund. Langbeinig und lebendig und grau wie ein Geist. Es hatte Othello angesehen, mit grauen, brennenden Geisteraugen, und Othello hatte verstanden, dass auch seine Haare sich sträubten, vor Hitze und Entzücken; dass sie sich kannten, seit langer Zeit...
    Othello blieb abrupt stehen.
    Am Boden der Senke, halb verdeckt von kahlen Brombeerhecken, kniete ein Mann. Einer der Männer, die immer spazieren gingen. Der Dickere und Größere von beiden. Diesmal ging er nicht spazieren, sondern quakte wütend und europäisch. Vor ihm lag ein totes Reh, seltsam verdreht, den Kopf in einer Drahtschlinge, und schwieg. Der Mann hatte sehr weiße Hände (oder vielleicht waren es Handschuhe?), und eine dieser Hände hielt ein Messer, die andere ein Gefäß. Der Mann stach das Reh in den Hals. Er hatte das schon ein paar Mal getan. Nichts passierte. Er quakte ärgerlich. Ab und zu blickte der Dicke schnell über die Schulter. Othello verstand, warum er so nervös war: Direkt dort oben führte ein Weg an der Senke vorbei, und jeder, der diesen Weg kam, würde sie sehen. Den Dicken und das Reh, das nicht bluten wollte. Es war ein dummer Ort. Jedes respektable Raubtier hätte seine Beute von hier weggezerrt, zumindest bis ins nächste Gebüsch.
    Schließlich ließ der Dicke von dem Reh ab. Er häufte Schnee darauf, dann ging er schnell davon, tiefer in den Wald hinein, eine plumpe Menschenspur hinter sich herziehend.
    Othello blieb im Schatten eines umgefallenen Baumstamms zurück und wunderte sich. So hatte er sich den Garou nicht vorgestellt.
    Ein Krachen ließ den schwarzen Widder zusammenzucken. Er wollte fliehen und wusste nicht, wohin und wovor. Dann sah er den Ast, der unter der Last des Schnees geborsten und zu Boden gestürzt war. Ein Ast so dick wie Othellos Kopf.
    Der Leitwidder lauschte dem Knarren der Bäume, dem Jammern

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