Garou
aufgetaucht wäre, Eric, der im Herbst vor Hortenses Fenster ein Musikinstrument malträtiert hatte. Die Schafe beobachteten ihn skeptisch. Jemand, der sich Tag für Tag mit Ziegenkäse beschäftigte, konnte nicht ganz richtig im Kopf sein.
Im Gegensatz zu den anderen Menschen bemerkte Eric das Silberpapier. Er blieb stehen und sah kurz zu, wie es mit der Sonne und dem Wind spielte, funkelte und knisterte. Die Schafe hielten den Atem an, aber es sah nicht so aus, als ob Eric sich besonders fürchtete. Er lächelte. Dann fuhr er sich mit der Hand durch das helle Haar, ging weiter zum Schäferwagen und klopfte höflich. Die Tür ging auf, und Mama stand auf den Stufen, in wallende blaue Gewänder gehüllt, mit einem glitzernden Band um die Stirn. Heute trug sie schon ihr drittes Gesicht, mit rosenfarbenen Lippen und viel Blau um die Augen, so als hätte sie sich mit jemandem geprügelt. Der alte George hatte sich einmal geprügelt, zum Spaß, und seine Augen hatten anschließend ungefähr so ausgesehen.
Mamas Auftritt wäre um einiges beeindruckender ausgefallen, wenn in diesem Moment nicht Tess aus dem Schäferwagen gesprungen wäre und um Eric herum einen kleinen Hundetanz aufgeführt hätte. Tess mochte Eric. Und Eric mochte Tess. Er ging in die Hocke und kraulte Tess hinter den Ohren, unter dem Kinn, am Bauch und an den Flanken. Tess rollte im Schnee und gab gurgelnde Laute des Entzückens von sich, während Mama mit ihren dramatisch gespreizten Armen ein wenig überflüssig aussah.
Endlich erinnerte sich Eric doch an Mama, klopfte sich Schnee von der Hose und überreichte ein Päckchen. Die Schafe witterten gespannt, aber unter dem Papier war wieder einmal nur Ziegenkäse. Für Ziegenkäse konnte sich nicht einmal Mopple begeistern. Mama lächelte und deutete mit roten Fingernägeln ins Innere des Schäferwagens, Eric lächelte auch, und die beiden verschwanden. Tess hinterher.
Die Schafe weideten und versuchten, nicht an Yves zu denken, der unappetitlich auf dem Gras und unter dem Schnee lag. Nur Mopple graste nicht. Er stand neben dem ungeschorenen Fremden am Zaun und blickte bekümmert zum Schloss hinüber.
»Es kann nicht so schwer sein, ein so großes Auto zu finden!«, sagte er. »Sie mussten längst wieder da sein!«
»Tourbe!«, bestätigte der Fremde. »Gris. Tache. Marcassin!«
Beide seufzten. Heute verstand Mopple das fremde Schaf gut.
Hortense kam aus dem Schloss, mit federnden Schritten und besonders viel Veilchenparfum, und schlüpfte zu Mama und Eric in den Schäferwagen. Einige Zeit später kam sie wieder heraus, Eric am Arm. Die beiden gingen schweigend über die Weide, blond und golden, und verschwanden schweigend zwischen den Wirtschaftsgebäuden des Schlosses.
Rebecca kam gegen Mittag zurück. Ihr roter Schal flatterte stolz im Wind.
»So«, sagte sie zu den Schafen. »Jetzt gibt es Mittagessen, und dann werden wir ja ...«
Die Schäferin verstummte und starrte auf den Haselstrauch.
»Na, so was«, sagte sie. »Habe ich nicht vorhin...Ich hätte schwören können ...«
Rebecca stapfte zum Haselstrauch, pflückte das Silberpapier aus den Zweigen und trug es wieder hinüber zum Abfalleimer.
»Komisch«, sagte sie.
Die Schafe fanden die Sache gar nicht komisch.
Rebecca versenkte das Werwolfsilber zum zweiten Mal im Abfalleimer, dann ging sie zurück zum Schäferwagen und klopfte.
Mama streckte ihr drittes Gesicht aus der Tür. »Sind sie weg?«, fragte Rebecca.
Mama nickte und zog eine Schachtel Zigaretten hervor. »Willst du eine?«
Mamas Zigaretten waren länger und dünner als die von Rebecca, und normalerweise verzog Rebecca bei ihrem Anblick das Gesicht. Aber nicht heute.
Die beiden Frauen hockten sich auf die Stufen, mit ihren komischen rauchenden Stängeln im Mund, und auf einmal sahen sie sich ähnlich.
»Der Tierarzt ist nirgends aufzutreiben«, sagte Rebecca. »Gestern hat mir seine Sprechstundenhilfe noch gesagt, dass er krank ist, und heute rührt sich gar niemand mehr. Ich brauche ihn ja gar nicht persönlich, die Impfungen können warten, ich will nur wissen, wo ich mit den Schafen ein neues Quartier finden kann.«
»Gestern?«, fragte Mama.
»Gestern!«, sagte Rebecca.
»Komisch. Ich dachte, ich hätte ihn gestern Vormittag mit der Plin sprechen sehen, bevor... na ja, vor der Seance.«
»Komisch«, sagte Rebecca ohne besonderes Interesse.
Die beiden Frauen bliesen Rauch in die Luft.
»Und?«, fragte Rebecca schließlich. »Hast du was Wichtiges
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