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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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gestülpt und hielt ein graues Stofftier im Arm.
    »Das ist ein Elefant«, dachte Othello, aber natürlich war es nicht wirklich ein Elefant.
    Der kleine Geist raffte sein weißes Laken vom Boden, tappte barfüßig näher und begann zu sprechen.
    Othello verstand nicht viel von dem, was der kleine Geist quakte. Aber ein bisschen verstand er dann doch. Dass der Stoffelefant Earl Grey hieß. Und dass der kleine Geist ihn sehr mochte. Es war wirklich schwer zu verstehen, Geist und Mensch und Stoff und Schaf, aber Othello verstand.
    Der kleine Geist winkte Othello, dann begann er, ihm Türen zu öffnen. Die Tür zum Nebenzimmer, die Tür zu einem langen Gang, in dem es viel frischer roch und von dem viele Türen abgingen. An einer dieser Türen klebte die Plin. Sie hatte ihr Ohr gegen das Holz gepresst, und ihr Gesicht war ganz still, still wie die Gesichter, die der Häher machte. Aber ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Rockes, die Knöchel weiß. Zum ersten Mal sah Othello, dass auch die Plin rote Fingernägel hatte, genau wie Mama.
    »Ich bin der Schlossbesitzer«, sagte eine Stimme hinter der Tür. »Sie sind die schöne Schäferin. Wie könnte ich mich da nicht in Sie verlieben? Meine Leute erwarten das.«
    »Wenn Sie immer das tun, was Ihre Leute erwarten, werden Sie bald bei Vollmond mordend durch die Wälder ziehen. Das erwarten Ihre Leute«, sagte Rebecca.
    Der kleine Geist wich einen Schritt zurück, damit die Plin ihn nicht entdeckte, öffnete eine andere Tür und dann noch eine, eine wichtige. Die Tür zum Himmel.
    Bevor Othello hindurchschlüpfte, witterte er noch einmal ins Schloss. Es roch nach Dingen, Fisch und Kerzenschein.
    Othello trat nach draußen, in die klare Kälte der Nacht, und ließ es zu, dass ihm kleine Geisterfinger scheu durch die Wolle strichen. Es fühlte sich seltsam an.
     

16
     
    Lane nieste. Ritchfield scharrte. Cordelia schnupperte, Ramses kaute nervös. Cloud durchstöberte das Stroh. Das Winterlamm stand im Schatten unter der Heuraufe, etwas abseits von den anderen, sehr wach und sehr still. Das schweigsamste Schaf der Herde warf einen langen Schatten. Zu viel Mondlicht floss durch das leere Fenster über ihren Köpfen und zeichnete ein bleiches Viereck um Miss Maple.
    Kein Schaf schlief mehr. Draußen war es zu still. Viel zu still. Diese Stille konnte sogar Sir Ritchfield hören. Die Stille war durch Ritzen und Fugen gekrochen und hatte sie aufgeweckt, eines nach dem anderen. Der Schuppen kam ihnen auf einmal sehr dünnwandig vor.
    Dann, als hätten sie daraufgewartet, kroch ein Geräusch um den Heuschuppen: ein Knirschen und Schleifen und Atmen. Ein Geräusch wie in Maples Traum.
    »Glaubt ihr, das ist...«, hauchte Cordelia.
    Lane, Cloud und Ramses nickten.
    »Erst haben sie Rebecca weggelockt, und jetzt...«, flüsterte Lane.
    Das Knirschen näherte sich langsam der Heuschuppentür.
    »Wir rennen ihn um!«, flüsterte Ramses. »Sofort! An der Tür! Alle zusammen!«
    Es war gar keine so schlechte Idee. Vor allem war es die einzige Idee.
    Die Schafe ballten sich stumm und entschlossen hinter der Tür zusammen, alle, auch Willow und das schweigsamste Schaf. Sogar das Winterlamm.
    Ehe sich Ramses versah, stand er in der Mitte einer zum Angriff entschlossenen Herde.
    »Wirklich?«, flüsterte er. »Glaubt ihr? Was, wenn...? Wann?«
    »Jetzt!«, blökte Cloud und schüttelte verwegen ihre Wolle.
    Sir Ritchfield verstand nicht viel von der ganzen Aufregung, aber er verstand genug vom Herdendasein, um sich mit den anderen zusammenzuballen und mit den anderen loszuspringen. Wenn alle etwas taten, war es gut! Eine Berührung an seiner Flanke verriet ihm, dass Melmoth neben ihm war, stark und schön und grau, die Hörner zum Angriff gesenkt. Auch Ritchfield senkte die Hörner. Etwas in ihm sang.
    Cloud vor ihm bremste, und Ritchfield wurde vom Schaf hinter sich auf ihren wolligen Rücken geschoben. Es war ihm etwas peinlich. Alle Schafe blökten, so laut, dass er sie gut hören konnte. Hinter ihm blökten sie »Angriff« und »Alle zusammen!« und »Heu!« und was ihnen sonst noch Ermutigendes einfiel, aber vor ihm blökten sie »Oh!« und »Ach!« und »Ach so!«.
    Dann waren sie alle still und sagten gar nichts mehr. Das fremde Schaf stand in der Tür des Heuschuppens. Im Mondlicht sah es noch größer aus, noch ungeschorener und steinartiger - und sehr weise.
    »Aube!«, blökte es freundlich, dann trabte es an ihnen vorbei und begann, in einer gemütlichen Ecke des

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