Garou
draußen. Die Fronsac bemerkte ihn nicht einmal, aber sie bemerkte den Luftzug, fröstelte, und vor Othellos Augen zog sie die Glastür wieder zu. Othello hätte fast vor Frustration der Antilope hinter ihm ins Gesicht gekeilt, aber in diesem Moment sah er etwas Unerwartetes. Zwei Füße. Menschenfuße. Hinter einem Vorhang. Zuerst dachte Othello, dass zu dieser seltsamen Herde eben auch ein toter Mensch gehörte, aber dann sah er, wie weiter oben eine Hand hinter dem Vorhang auftauchte und ihn etwas beiseiteschob. Ein Gesicht mit Sonnenbrille sah der Fronsac dabei zu, wie sie versuchte, auf Knien auch den Bauch des Krokodils zu kitzeln. Othello staunte.
Nach dem Krokodil war Othello dran, und anders als die anderen Tiere hatte er etwas dagegen. Othello nieste. Die Fronsac erstarrte. Sah nach links. Und nach rechts.
Othello wich vorsichtig ein Stück zur Seite.
Das Walross drehte sich wieder zu ihm um und war überrascht, dass ihr Federbüschel ins Leere wedelte. Dann rückte sie wieder näher.
Othello blökte empört.
Der Federwedel fiel zu Boden, und sein Stiel klapperte auf dem spiegelglatten Holz. Die Frau kreischte. Dann fasste sie sich und ging mit ausgebreiteten Armen auf Othello zu.
Othello zögerte einen Moment. Die Fronsac war ängstlich, und niemand traute ihr viel zu, aber sie war ein großer, kräftiger Mensch, breit und schwer und vermutlich auch stark. Der Boden war glatt. Die Dinge waren gegen ihn.
Othello rannte.
Die Fronsac watschelte hinterher.
Tief im Schnee war der Heuschuppen dunkel und duftig und besonders gemütlich. Es war so still, als wäre die Welt draußen verschwunden, das Schloss, die Ziegen und der Wald, und in dieser Nacht war das ein schöner Gedanke.
Sie hatten Fluchtpläne geschmiedet und verworfen, den Garou in Silberpapier gewickelt, waren zusammen in den Wald gezogen, um ungeschoren zu werden, und hatten sich alle gemeinsam in der Futterkammer versteckt. Alles hatte einen Haken. Manche Pläne, wie der mit dem großen Blätterrechen, hatten fast nur Haken.
Jetzt standen sie im Dunkeln und wussten nicht weiter.
Und dann war da wieder das Heulen. Die Schafe trabten zum Heuschuppeneingang und sahen unbehaglich in die Nacht hinaus.
»Glaubt ihr, das ist er?«, fragte Ramses.
»Ich weiß nicht«, sagte Maple. »Aber wir haben es gehört, bevor Rebecca das Reh am Waldrand gefunden hat. Und bevor wir das Reh im Wald gefunden haben, war es wieder da, in der Morgendämmerung. Erinnert ihr euch?«
Die anderen Schafe hatten das schreckliche Heulen glücklicherweise längst vergessen und schüttelten die Köpfe.
Und dann hörten sie noch ein anderes Geräusch, nicht so unheimlich, aber noch seltsamer, sehr fremd und sehr vertraut zugleich. Tess, die alte Schäferhündin, saß mitten auf der Weide, die Schnauze zu den Sternen emporgereckt, und auch sie heulte mit ihrer guten, vertrauten Schäferhundstimme. Tess und der Garou heulten zusammen! Tess, die sie ihr ganzes Leben gekannt hatten!
Und dann heulte Tess auf einmal nicht mehr, sondern winselte nur, und schließlich rollte sie sich unter den Schäferwagenstufen zusammen und roch kälter und kälter und immer weniger nach Tess. Die Schafe wussten, dass der Tod auf ihre Weide gekommen war, und zogen sich vorsichtig von der Heuschuppentür zurück.
Der Garou aber heulte noch immer, und er klang trauriger als zuvor.
Zora stand im Wald, ein wenig abseits von Maude, Heide und Madouc, und hörte dem Garou beim Heulen zu. Sie vermisste das Meer. Zora wollte ihrem Lamm das Meer zeigen. Es war wichtig für ein Schaf, das Meer zu sehen.
Es war ihre zweite Nacht fern von der Herde, und diesmal verbrachten sie sie unter den schützenden Zweigen einer großen Tanne. Selbst Madouc, die gestern in dem Bushäuschen geschlafen hatte wie ein Stein - ein schnarchender Stein -, war heute unruhig. Ihre Hufe scharrten Muster in die überzuckerten Tannennadeln unter ihren Füßen, und manchmal murmelte sie »Nein, nicht mich! Nimm sie! Nimm sie!«. Zora, Maude und Heide waren hellwach und starrten mit weiten Augen in die Dunkelheit.
Und dann hatte Zora einen verrückten Plan. Sie wusste sofort, dass er verrückt war - sie hatte einfach schon viel zu viel Zeit mit dieser Ziege verbracht! Aber es war ein Plan.
»Wir gehen los!«, blökte sie. »Sofort! Wir gehen dahin, wo das Heulen herkommt!«
»Weg!«, korrigierte Heide. »Von dem Heulen weg, meinst du!«
»Nein«, sagte Zora. »Versteht ihr nicht? Wir haben das Heulen von der
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