Garou
hinauf.
Vidocq und Hortense musterten sich skeptisch, Schnee fiel, und Maple dachte. Schnee.
Schnee fiel von oben und trennte Dinge. Das Gras vom Licht. Die Kälte von der Wärme. Die Lebenden von den Toten.
»Wir brauchen wieder ein Silber!«, blökte Maple plötzlich. »Aber Yves...«, sagte Ramses.
»Zu was brauchen wir denn jetzt noch ein Silber?«, fragte Heide. »Glaubst du, es gibt mehr Wölfe?«
Mehrwölfe? Die Schafe guckten erschrocken. Ein Werwolf war schlimm genug. Keines von ihnen wollte je einem Mehrwolf begegnen.
Maple legte den Kopf schief, als wolle sie den Schnee hören oder vielleicht sogar das Gras unter dem Schnee. Aber der Schnee gab keinen Mucks von sich.
»Yves war nicht der Garou«, sagte sie langsam.
»Aber das Silber hat ihn erwischt!«, blökte Cordelia.
»Yves war unter dem Schnee«, sagte Miss Maple. »Und die Rehe, von denen Hortense erzählt hat, waren auf dem Schnee.«
Die Schafe stellten es sich vor: Yves, steif und geruchlos, der versuchte, durch den Schnee hindurch seine haarigen Hände nach den Rehen auszustrecken. Unmöglich. Der Schnee war wie ein Zaun in der Zeit.
»Vielleicht - vielleicht war das der andere?«, sagte Lane zögerlich. »Der Spaziergänger? Der, der den Garou nur spielt?« Sie wollten alle so gerne, dass Yves der Garou war!
Maple schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Erinnert ihr euch, was Othello erzählt hat? Der Spaziergänger spielt den Garou nicht besonders gut. Und zwei Rehe in einer Nacht - das ist nicht einfach! Ich glaube nicht, dass der Spaziergänger das geschafft hätte. Außerdem war Yves farbenblind, erinnert ihr euch? Rebecca hat es gesagt.«
»Was ist farbenblind?«, fragte Heathcliff.
»Wenn man alles sieht, nur keine Farben, wahrscheinlich. Und ich glaube, Farben sind sehr wichtig für den Garou. Sehen ist sehr wichtig.«
Maple konnte es sich gut vorstellen. Das Weiß und das Rot. Das Weiß und das Rot und das Schwarz. Blumen im Schnee. Deswegen war das Silber für ihn gefährlich. Weil es glitzerte und glänzte. Der Garou wollte sehen. Erjagte mit den Augen. Erjagte für seine Augen - nicht für seinen Magen. Sie dachte an Hortenses Fenster, das auf die Weide ging. Sie war sich sicher, dass der Garou auch ein solches Fenster hatte. Ein Fenster, an dem er stehen konnte und sehen. Sehen war die halbe Jagd.
»Der Garou wohnt im Schloss«, sagte sie.
Die Schafe sahen erschrocken zum Schloss hinüber, das schon wieder seine Schattenfinger nach der Weide ausstreckte. Der Garou! So nah!
»Ich glaube, es ist wichtig, herauszufinden, wer Yves erschossen hat«, fuhr Maple fort. »Ich denke, Yves ist mit dem Garou verwechselt worden. Das bedeutet, dass jemand den Garou jagt.Wir müssen herausfinden, wer. Vielleicht können wir ihm helfen, das nächste Mal den Richtigen zu treffen.«
Rebecca kam wieder aus dem Schäferwagen.Vidocq musste ihr versprechen, gut auf die Schafe aufzupassen, dann hakte sie sich bei Hortense ein, und gemeinsam verschwanden die beiden Frauen durch das Hoftor.
Vidocq sah ihnen nach, dann stand er auf, streckte sich und trottete den Hang hinauf bis zum Weidezaun. Von dort guckte er lange und ein bisschen sehnsüchtig in den Wald.
Endlich war die Luft rein - so rein sie eben sein konnte, wenn man Ziegen als Nachbarn hatte.
Die Schafe wollten sich gerade auf die Suche nach einem neuen Silber machen, als plötzlich drei Ziegen am Weidezaun standen. Eine von ihnen räusperte sich. Es klang wie ein Meckern. Vielleicht war es ein Meckern?
Die Schafe sahen nicht hin.
Die zweite Ziege hüstelte.
»Wir...«, sagte die erste Ziege.
»...wollen...«, sagte die zweite Ziege. Die beiden anderen sahen sie böse an.
»... würden...«, korrigierte die zweite Ziege hastig,»... gerne getrieben werden.«
»In den Wahnsinn«, ergänzte die erste Ziege.
Die Schafe sahen die drei verständnislos an.
»Von eurem Hund«, erklärte die Dritte.
Alle drei Ziegen schlugen die Augen nieder.
»Wenn es nicht zu viele Umstände macht«, murmelte die Zweite.
»Auch wenn es viele Umstände macht«, meckerte die Dritte.
»Wir haben keine Zeit«, sagte Heide spitz. »Wir brauchen ein Silber. Und wir müssen herausfinden, wer Yves ermordet hat.«
»Yves?«, fragte die erste Ziege. »Wen interessiert schon Yves? Ist es wichtig?«
Die Schafe machten wichtige Gesichter.
»Aber das ist doch überhaupt kein Problem«, sagte die dritte Ziege. »Wir können das für euch herausfinden! Das geht ganz schnell! Und dann... der Wahnsinn,
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