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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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hergekommen war. War er überhaupt irgendwo hergekommen? Er konnte sich nicht erinnern. Etwas in ihm fühlte sich leer an. Er senkte den Kopf und schnaubte in den Schnee. Der Schnee war vom Himmel gefallen. War er auch vom Himmel gefallen? Der Gedanke machte ihn ... traurig vielleicht.
    Er wollte zurück. Er wollte unbedingt zurück.
    Etwas kam auf ihn zu. Nicht von oben. Von der Seite. Ein Knirschen.
    Knirsch, knirsch, knirsch.
    Pochpochpochpochpoch. Sein Herz war wieder losgaloppiert, schneller als alle Schneeflocken. Dann sah er das Wesen. Groß, dunkel und zweibeinig schritt es durch den Schnee und ließ Spuren zurück. Das Wesen war nicht vom Himmel gefallen. Nicht weit entfernt blieb es stehen und drehte den Kopf hin und her. Es gefiel ihm nicht, wie das Wesen den Kopf drehte. Es sollte weg. Vor allem seine Augen. Seine Augen waren kälter als der Schnee. Doch der Schnee war sein Verbündeter, er tanzte und wirbelte um das dunkle Wesen, fuhr ihm ins Gesicht, so dass die Augen nicht lange in seine Richtung sehen konnten. Der Wind fauchte, und dann, endlich, trieb er das Wesen davon.
    Knirsch. Knirsch. Knirsch.
    Pochpochpoch. Poch. Poch.
    Der Schnee fiel weiter, und irgendwann hörte er auf zu fallen, einfach so.
    Der Boden war scheckig vor Schatten geworden, und auch das war nicht gut. Er machte einen vorsichtigen Schritt, heraus aus den Schatten. Seine Beine fühlten sich steif und fremd an, als hätte er sie noch nie benutzt. Im Himmel braucht man keine Beine. Hier schon. Vorsichtig bewegte er sich an den Bäumen vorbei, immer auf das Licht zu. Bald gab es keine Bäume mehr, dafür aber einen Zaun. Dahinter stand jemand.
    Ein anderes Wesen. Weiß und flockig wie Schnee. Dieses Wesen gefiel ihm schon besser.
    »Hallo, Mopple«, sagte das Wesen.
    »Hallo«, sagte Mopple the Whale.
     

18
     
    Mopple the Whale war aus dem Wald zurückgekommen.
    Und Mopple the Whale war nicht aus dem Wald zurückgekommen.
    Mopple sah aus wie Mopple. Er war freundlich wie Mopple und gierig wie Mopple. Er roch wie Mopple und bewegte sich wie Mopple.
    Aber Mopple the Whale war das Schaf mit dem besten Gedächtnis der Herde. Ihr Gedächtnisschaf.
    Was er sich einmal gemerkt hatte, vergaß er nie. Das Schaf, das aus dem Wald zurückgekommen war, hatte alles vergessen. Alles.
    Irland. Europa. Die Weide und das Schloss. Sir Ritchfield. Miss Maple. Heide. Sogar seinen Namen.
    Während die Sonne entschlossen auf das Schloss zustrebte und die Männer mit Mützen endlich kamen, um Yves wegzuräumen, standen die Schafe viel um den dicken Widder herum, wie um ihn zu wärmen. Vielleicht würden ja ein paar ihrer Erinnerungen auf Mopple überspringen - wie Flöhe. Mopple machte eigentlich einen ganz zufriedenen Eindruck. Er graste freundlich, kaute und schluckte, blinzelte ab und zu in die Sonne und ließ sich von Ritchfield in lange, einseitige Gespräche verwickeln. Dann und wann schien er innezuhalten und zu lauschen, wie auf der Suche nach einem Geräusch - dem Geräusch eines fallenden Apfels, vermuteten die Schafe.
    Sie sahen mit Erleichterung zu, wie Yves die Füße voran durch das Weidetor verschwand, säuberlich in Plastikfolie gewickelt wie ein Ziegenkäse.
    Jetzt stand entspanntem Grasen endlich nichts mehr im Weg!
    Hortense kam vorbei, um Rebecca zu umarmen und in Veilchenwolken zu hüllen.
    »Oh, Becca«, sagte sie. »C'est terrible! Du musst so erschrocken sein! Und dein armer Hund! Und die armen Rehe! Das ist alles so furchtbar!«
    »Sie war alt«, sagte Rebecca leise. »Was für Rehe?«
    »Paul hat sie heute Morgen gefunden«, sagte Hortense. »Der Hirt. Zwei gleich. In einer Nacht. Wir hatten noch nie zwei in einer Nacht.«
    »Vielleicht sind sie nicht beide von heute Nacht?«, fragte Rebecca.
    »Si«, sagte Hortense. »Sie waren beide auf dem Schnee!«
    »Oh«, murmelte Rebecca. Sie sah blass aus.
    »Ich... ich finde, du solltest dich ein bisschen entspannen«, sagte Hortense und legte ihre schmale weiße Hand auf Rebeccas Arm. »Wir gehen in die Küche und trinken eine heiße Schokolade, ja?«
    Rebecca sah aus, als ob sie eine heiße Schokolade gut gebrauchen konnte. Trotzdem schüttelte sie den Kopf.
    »Ich möchte hier nicht so gerne weg«, sagte sie. »Die Schafe ...«
    »Aber sicher kann doch deine maman ein bisschen aufpassen.«
    Rebecca überlegte einen Augenblick. »Ich weck sie«, sagte sie dann.
    Sie kraulte Vidocq kurz hinter den Ohren - oder dort, wo sie die Ohren vermutete -, dann stieg sie die Schäferwagenstufen

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