Garp und wie er die Welt sah
ans
rechte Ohr. Das Problem war auch, dass der andere Schütze so viel größer war
als Garp; die Ellbogen des Mannes waren auf gleicher Höhe wie Garps Ohren.
An jenem ersten Tag über Rouen
saß im unteren Geschützturm ein Mann namens Fowler, der sogar noch kleiner war
als Garp. Fowler war vor dem Krieg Jockey gewesen. Er war ein besserer Schütze
als Garp, aber der Geschützturm war Garps größter Wunsch. Garp war Waise, muss
aber gern allein gewesen sein, und er wollte sich der Nähe und den
Ellbogenstößen des anderen Schützen im Rumpf irgendwie entziehen. Wie viele
Bordschützen träumte natürlich auch Garp davon, nach seinem fünfzigsten oder
fünfundfünfzigsten Einsatz zur Zweiten Luftflotte – dem Bomber-Ausbildungskommando – versetzt zu werden,
wo er sich als Bordschützenausbilder zur Ruhe setzen konnte. Aber bis Fowler
ums Leben kam, beneidete Garp ihn um seinen abgeschiedenen Posten, um seine
Jockey-Einsamkeit.
»Ein mieses Loch, wenn du viel
furzt«, behauptete [35] Fowler, ein Zyniker, der einen trockenen irritierenden
Husten und einen üblen Ruf bei den Krankenschwestern des Feldlazaretts hatte.
Fowler kam bei einer Bruchlandung
auf einer ungepflasterten Straße ums Leben. Ein Schlagloch hatte die
Fahrgestellstreben abgerissen, das ganze Fahrgestell brach zusammen, und der
Bomber machte eine harte Bauchlandung, die den Geschützturm mit der Wucht eines
auf eine Weintraube fallenden Baumes zerquetschte. Fowler, der immer gesagt
hatte, er habe mehr Vertrauen zu Maschinen als zu Pferden oder Menschen, hockte
in dem nicht eingefahrenen Geschützturm, als das Flugzeug darauf landete. Die
Rumpfschützen, darunter Sergeant Garp, sahen seine Überreste unter dem Bauch
des Bombers hervorspritzen. Der Staffeladjutant, der am Boden dem Geschehen der
Nächste war, übergab sich in seinem Jeep. Der Staffelkommandeur brauchte nicht
erst die offizielle Bestätigung von Fowlers Tod abzuwarten, um ihn durch den
zweitkleinsten Bordschützen der Staffel zu ersetzen. Der winzige Technical
Sergeant Garp hatte schon immer Kugelturmschütze werden wollen. Im September
1942 war es so weit.
»Meine Mutter war auf Details
versessen«, schrieb Garp. Wenn ein Verwundeter eingeliefert wurde, war Jenny
Fields die Erste, die den Arzt fragte, wie es passiert sei. Und Jenny ordnete
sie stillschweigend ein: die Äußerlichen, die lebenswichtigen Organe, die
Abwesenden und die Halbtoten. Und sie dachte sich kleine Eselsbrücken für die
Namen der Männer und ihre jeweiligen Missgeschicke aus. So zum Beispiel:
Schütze Rochen brach sich die Knochen, [36] Sergeant Potter landete auf Schotter,
Corporal Soden verlor seine Hoden, Captain Stout verbrannte die Haut, Major
Longfellow hat ein kurzes Gedächtnis.
Sergeant Garp jedoch war ein
Rätsel. Bei seinem fünfunddreißigsten Flug über Frankreich hörte der kleine
Turmschütze plötzlich auf zu schießen. Dem Piloten fiel auf, dass der
Geschützturm nicht mehr feuerte, und er dachte, Garp habe einen Treffer
abbekommen. Davon hatte der Pilot am Rumpf seines Flugzeugs allerdings nichts
gemerkt. Er hoffte, Garp habe es auch nicht sehr gemerkt. Nach der Landung
verfrachtete der Pilot Garp schnell in den Motorrad-Beiwagen eines Feldarztes – die Krankenwagen waren alle im Einsatz. Sobald er in
dem Beiwagen saß, begann der winzige Sergeant, an sich herumzuspielen. Der
Pilot klappte den Wetterschutz aus Segeltuch über den Beiwagen. Die Haube hatte
ein Seitenfenster, durch das der Arzt, der Pilot und die umstehenden Männer
Garp beobachten konnten. Dafür, dass er so klein war, schien er eine
außerordentlich große Erektion zu haben, aber er hantierte kaum geschickter
daran herum als ein kleiner Junge – nicht halb so geschickt wie ein Affe im Zoo. Doch wie ein Affe schaute Garp aus
seinem Käfig und starrte ohne Scham in die Gesichter der Umstehenden.
»Garp?«, sagte der Pilot. Garps
Stirn war mit mehr oder weniger getrocknetem Blut gesprenkelt, aber seine
Fliegermütze klebte oben an seinem Schädel und tropfte; sonst schien er nicht
verletzt zu sein. »Garp!«, schrie der Pilot ihn an. An der Stelle, wo in der
Metallkugel die Maschinengewehre gewesen waren, klaffte ein Riss.
Augenscheinlich hatte eine Flakgranate die Läufe der Maschinengewehre [37] getroffen
und dabei den Turm aufgerissen und sogar die Griffe mit den Knöpfen gelöst,
obwohl Garps Händen nichts fehlte – außer etwas Geschick beim Masturbieren.
»Garp!«, rief der Pilot.
»Garp?«, sagte Garp.
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