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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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armen Garp an
die Traumsendung anschließen könnte, würden ihre Arbeitstage und sein Leben
sehr viel glücklicher verlaufen. Aber so einfach war das nicht.
    Sie gab ihre Bemühungen auf, ihm
ein neues Wort beizubringen. Wenn sie ihn fütterte und sah, dass ihm das Essen
schmeckte, sagte sie: »Gut! Das ist gut !«
    »Garp!«, stimmte er ihr zu.
    Und wenn er Essen auf seinen Latz
spuckte und das Gesicht verzog, sagte sie: »Schlecht! Das Zeug schmeckt schlecht, nicht wahr?«
    [43]  »Garp!«, würgte er.
    Das erste Anzeichen, dass es mit
ihm bergab ging, sah Jenny darin, dass er das G zu
verlieren schien. Eines Morgens begrüßte er sie mit einem »Arp«.
    »Garp«,
sagte sie nachdrücklich zu ihm. »G-arp.«
    »Arp«, sagte er. Da wusste sie,
dass sie ihn verlor.
    Täglich schien er jünger zu
werden. Im Schlaf knetete er mit seinen zappelnden Fäusten die Luft, seine
Lippen spitzten sich, seine Wangen machten saugende Bewegungen, und seine
Augenlider zitterten. Jenny hatte viel Zeit mit Neugeborenen verbracht – sie wusste, dass der Turmschütze in seinen Träumen
an der Mutterbrust lag. Eine Zeitlang erwog sie, einen Schnuller in der
Entbindungsstation zu stehlen. Aber von der Station hielt sie sich mittlerweile
fern; die Witze irritierten sie (»Da kommt Jungfrau Maria-Jenny und klaut einen
Gumminippel für ihr Kind. Wer ist denn der glückliche Vater, Jenny?«). Sie sah
zu, wie Sergeant Garp im Schlaf nuckelte, und versuchte, sich vorzustellen,
dass seine letzte Regression friedlich verlaufen würde, dass er in sein
Embryonalstadium zurückkehren und nicht mehr mit der Lunge atmen würde; dass
seine Persönlichkeit sich selig spalten und dass die eine Hälfte dann von einem
Ei und die andere von Sperma träumen würde. Schließlich würde er einfach nicht
mehr sein.
    Fast so war es dann auch. Garps
Stillphase war schließlich so ausgeprägt, dass er wie ein Säugling alle vier
Stunden aufwachte; er schrie sogar wie ein Baby mit hochrotem Gesicht, vergoss
in einem Moment Tränen und ließ sich im nächsten wieder beruhigen – vom Radio,
von Jennys Stimme. Einmal, als sie ihm den Rücken massierte, machte [44]  er ein
Bäuerchen. Jenny brach in Tränen aus. Sie saß an seinem Bett und wünschte ihm
eine schnelle, schmerzlose Reise zurück in den Mutterschoß und weiter.
    Wenn seine Hände doch nur heilen
würden, dachte sie, dann könnte er wenigstens am Daumen lutschen. Wenn er aus
seinen Saugträumen erwachte und hungrig war oder sich einbildete, hungrig zu
sein, hielt Jenny ihm einen Finger an den Mund und ließ seine Lippen daran
nuckeln. Obwohl er richtige ausgewachsene Zähne hatte, war er im Geist zahnlos, und nie biss er sie. Diese Beobachtung
bewog Jenny eines Nachts, ihm die Brust zu geben. Er saugte unermüdlich, und es
schien ihn nicht zu stören, dass dort nichts zu holen war. Jenny dachte, dass
sie, wenn er weiterhin ihre Brust nahm, Milch haben würde; sie spürte ein starkes Ziehen in ihrem Schoß, das nicht nur mütterlich, sondern
auch sexuell war. Ihre Gefühle waren so intensiv – sie glaubte eine Zeitlang, sie könne vielleicht ein Kind empfangen, indem sie den Baby-Turmschützen einfach nur stillte.
    Fast so war es dann auch. Aber
Bordschütze Garp war nicht ganz Baby. Eines Nachts,
während er an ihrer Brust lag, bemerkte Jenny, dass er eine Erektion hatte – eine Erektion, dass sich die Decke hob; mit seinen
unbeholfenen verbundenen Händen erregte er sich und wimmerte vor Enttäuschung,
während er hungrig wie ein Wolf an ihrer Brust sog. Und so half sie ihm eines
Nachts; mit ihrer kühlen, gepuderten Hand fasste sie ihn an. Er hörte auf, an
ihrer Brust zu saugen, und rieb einfach nur den Mund an ihr.
    »Ar«, stöhnte er. Er hatte das P verloren.
    Einst ein Garp, dann ein Arp,
jetzt nur noch ein Ar; sie [45]  wusste, dass er starb. Er hatte nur noch einen
Vokal und einen Konsonanten übrig.
    Als er kam, fühlte sie seinen
Erguss nass und heiß in ihrer Hand. Unter der Decke roch es wie in einem
Treibhaus im Sommer, absurd fruchtbar – unkontrolliertes Wachstum. Als könnte man dort alles einpflanzen, und es würde gedeihen. Bei Garps Sperma musste Jenny Fields
denken: Wenn man ein wenig davon in einem Treibhaus verspritzte, würden Kinder aus der Erde sprießen.
    Jenny ließ sich die Sache
vierundzwanzig Stunden durch den Kopf gehen.
    »Garp?«, flüsterte Jenny.
    Sie knöpfte das Oberteil ihres
Schwesternkittels auf und holte ihre Brüste heraus, die sie immer zu groß
gefunden

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