Garp und wie er die Welt sah
tut mir leid, dass Sie so
unglücklich sind«, sagte Garp. Auf dem Sitz neben ihr in ihrem unordentlichen
Auto lag eine Taschenbuchausgabe von Dostojewskijs Der [358] ewige
Gatte. Garp fiel wieder ein, dass Mrs. Ralph studierte. »Was ist Ihr
Hauptfach?«, fragte er sie dümmlich. Er erinnerte sich, dass sie eine ewige
Studentin war; ihr Problem war wahrscheinlich eine Doktorarbeit, die nicht fertig
wurde.
Mrs. Ralph schüttelte den Kopf.
»Sie lassen wahrhaftig nichts an sich herankommen, nicht wahr?«, fragte sie.
»Wie lange sind Sie schon verheiratet?«
»Fast elf Jahre«, sagte Garp.
Mrs. Ralph blickte ihn eher unbeeindruckt an; Mrs. Ralph war zwölf Jahre
verheiratet gewesen.
»Ihr Junge ist bei mir sicher«,
sagte sie, als ärgerte sie sich plötzlich über ihn und als könnte sie jeden
seiner Gedanken genau lesen. »Keine Sorge, ich bin ganz harmlos – mit Kindern«,
fügte sie hinzu. »Und ich rauche nicht im Bett.«
»Ich bin sicher, dass es gut für
die Jungen ist, wenn sie Ihnen beim Baden zuschauen«, sagte Garp zu ihr und
wurde sofort verlegen, obwohl er es ausnahmsweise so meinte, wie er es gesagt
hatte.
»Ich weiß nicht«, sagte sie.
»Meinem Mann scheint es nicht sehr gutgetan zu haben, und er hat mir jahrelang zugeschaut.« Sie blickte zu Garp auf, dem der Mund wegen des
vielen gezwungenen Lächelns weh tat. Berühr einfach ihre Wange, oder streichle
ihre Hand, dachte er, sag wenigstens etwas. Aber Garp
war unbeholfen, wenn er nett sein wollte, und er flirtete nicht.
»Nun, Ehemänner sind sonderbar«, murmelte Garp, der Eheberater mit seinen
vielen guten Ratschlägen. »Ich nehme an, die meisten wissen nicht, was sie
wollen.«
[359] Mrs. Ralph lachte bitter.
»Mein Mann hat eine neunzehnjährige Fotze gefunden.
Er scheint sie zu wollen.«
»Das tut mir leid«, erklärte Garp
ihr. Der Eheberater ist der Das-tut-mir-leid-Mann, wie ein glückloser Arzt, der immer nur tödliche Krankheiten zu diagnostizieren
hat.
»Sie sind Schriftsteller«, sagte
Mrs. Ralph vorwurfsvoll zu ihm; sie wedelte mit ihrer Ausgabe von Der ewige Gatte in seine Richtung. »Was halten Sie
hiervon?«
»Es ist eine sehr schöne
Geschichte«, sagte Garp. Zum Glück war es ein Buch, an das er sich erinnerte –
erfreulich kompliziert, voller perverser und menschlicher Widersprüche.
»Ich finde, es ist eine
krankhafte Geschichte«, erklärte Mrs. Ralph ihm. »Ich wüsste gern, was
eigentlich so besonders an Dostojewskij ist.«
»Nun«, sagte Garp, »seine
Charaktere sind psychologisch und emotional sehr vielschichtig; und die
Situationen sind so ambivalent.«
»Seine Frauen sind noch weniger als Objekte«, sagte Mrs. Ralph, »sie haben nicht
einmal irgendeine Form. Sie sind nichts als Ideen,
über die Männer reden und mit denen Männer spielen.« Sie warf das Buch durch
das Fenster auf Garp; es traf seine Brust und fiel in den Rinnstein. Sie ballte
die Hände in ihrem Schoß zu Fäusten und starrte auf den Fleck auf ihrem Kleid,
der ihre Scham mit einem Bullauge aus Tomatensoße markierte. »O Mann, so bin
ich eben«, sagte sie und starrte auf die Stelle.
»Es tut mir leid«, sagte Garp
wieder. »Der Fleck wird womöglich bleiben.«
»Es bleibt immer ein Fleck!«,
rief Mrs. Ralph. Sie lachte [360] so einfältig auf, dass Garp Angst bekam. Er
sagte nichts, und sie sagte zu ihm: »Ich wette, Sie denken, dass ich nur mal
anständig gebumst werden müsste.«
Das dachte Garp allerdings nur
ganz selten über jemanden. Doch als Mrs. Ralph es erwähnte, dachte er tatsächlich, in ihrem Fall könne
diese allzu einfache Lösung helfen.
»Und ich wette, Sie denken, ich
würde sie lassen«, sagte sie und sah ihn mit funkelnden Augen an. Garp dachte
es tatsächlich.
»Nein, ich denke nicht, dass Sie
das tun würden«, sagte er.
»Doch, Sie denken, mir wäre
nichts lieber «, sagte Mrs. Ralph.
Garp ließ den Kopf hängen.
»Nein«, sagte er.
»Nun, in Ihrem Fall«, sagte sie,
»könnte ich’s mir überlegen. «Er
sah sie an, und sie schenkte ihm ein ruchloses Lächeln. »Vielleicht wären Sie
hinterher nicht mehr so blasiert«, sagte sie zu ihm.
»Sie kennen mich nicht gut genug,
um so mit mir zu reden«, sagte Garp.
»Ich weiß, dass Sie blasiert sind«, sagte Mrs. Ralph. »Sie halten sich für
wahnsinnig überlegen.« Garp wusste, dass es zutraf; er war überlegen.
Er würde einen lausigen Eheberater abgeben, das wusste er jetzt.
»Fahren Sie bitte vorsichtig«,
sagte Garp; er stieß sich von ihrem Wagen ab.
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