Garp und wie er die Welt sah
Oregano hinzu. Er rief nur bei dem Düngemittelhändler an, der am nächsten
bei Walts Kindergarten lag. Helen war in manchen Dingen einfach zu genau –
immer mit ihren Preisvergleichen! Obwohl er sie deswegen bewunderte. Aber
Dünger ist Dünger, dachte Garp, man kauft ihn am besten dort, wo es am nächsten
ist.
Ein Eheberater!, dachte Garp
wieder, während er einen Esslöffel Tomatenmark in einer Tasse mit etwas warmem
Wasser auflöste und das Ganze unter seine Soße rührte. Warum muss die wichtige
Arbeit immer von Quacksalbern gemacht werden? Was gab es Wichtigeres als
Eheberatung? Trotzdem stellte er sich vor, dass ein Eheberater auf der
Vertrauensskala noch unter einem Chiropraktiker rangierte. Ob Psychiater über
Eheberater die Nase rümpften, so wie viele Ärzte die Chiropraktiker
verachteten? Garp rümpfte über niemanden so sehr die Nase wie über Psychiater –
diese gefährlichen Vereinfacher, diese Diebe der Komplexität eines Menschen.
Für Garp waren die Psychiater die Schlusslichter all derer, die mit ihrem
eigenen Durcheinander nicht zu Rande kamen.
Der Psychiater ging an das
Durcheinander ohne den Respekt heran, den jedes Durcheinander verdient hatte,
dachte Garp. Der Psychiater hatte das Ziel, Ordnung im Kopf zu [350] schaffen.
Garp war der Meinung, dass dies gewöhnlich erreicht wurde( falls es denn erreicht wurde), indem man alle
unordentlichen Dinge wegwarf. Das ist die einfachste Art, Ordnung zu schaffen,
wusste Garp. Der Trick besteht darin, das Durcheinander zu nutzen – die unordentlichen Dinge für sich einzuspannen. »Das ist leicht
gesagt für einen Schriftsteller «, hatte Helen gesagt.
»Künstler können ein Durcheinander ›nutzen‹; die meisten Leute können es aber
nicht, und sie wollen einfach kein Durcheinander. Ich weiß zum Beispiel, dass
es mir so geht. Du würdest einen schönen Psychiater
abgeben! Was würdest du tun, wenn ein armer Mann zu dir käme, der sein Durcheinander
nicht brauchen kann und es unbedingt loswerden will? Ich nehme an, du würdest
ihm raten, etwas darüber zu schreiben ?«Garp erinnerte sich an dieses Gespräch über Psychiatrie,
und es ärgerte ihn; er wusste, dass er die Dinge, die ihn wütend machten, grob
vereinfachte, aber er war überzeugt, dass die Psychiatrie alles grob
vereinfachte.
Als das Telefon klingelte, sagte
er: »Der Düngemittelhändler in der Springfield Avenue. Da hast du es am
nächsten.«
»Ich weiß, wo der ist«, sagte
Helen. »Ist das der Einzige, wo du angerufen hast?«
»Düngemittel sind Düngemittel«,
sagte Garp. »Rasendünger ist Rasendünger. Fahr zur Springfield Avenue – er
liegt dort schon bereit.«
» Was für einen interessanten Job hast du denn gefunden?«, fragte Helen ihn. Er
wusste, dass sie darüber nachgedacht hatte.
»Eheberatung«, sagte Garp; seine
Tomatensoße [351] blubberte – die Küche war voll von ihrem satten Duft. Helen
wahrte ein respektvolles Schweigen an ihrem Ende der Leitung. Garp wusste, dass
es ihr diesmal schwerfallen würde, ihn zu fragen, was für Qualifikationen er
dafür zu haben glaubte.
»Du bist Schriftsteller«, sagte
sie.
»Die beste Qualifikation für den
Job«, sagte Garp. »Jahrelanges Brüten über den Sumpf der zwischenmenschlichen
Beziehungen; stundenlanges Nachdenken über die Gemeinsamkeiten der Menschen.
Das Scheitern der Liebe«, leierte Garp weiter, »die Vielschichtigkeit des
Kompromisses, das Bedürfnis nach Mitgefühl.«
»Dann schreib darüber«, sagte Helen. »Was willst du mehr?« Sie wusste genau, was als Nächstes
kommen würde.
»Die Kunst hilft niemandem«,
sagte Garp. »Die Menschen können sie nicht benutzen: Sie können sie nicht
essen, sie gibt ihnen weder Obdach noch Kleidung – und wenn sie krank sind,
macht sie sie nicht gesund.« Das war, Helen wusste es, Garps Theorie über die
grundsätzliche Nutzlosigkeit der Kunst. Er lehnte die Vorstellung ab, dass die
Kunst einen wie auch immer gearteten sozialen Wert habe – dass sie ihn haben
könne oder haben solle. Man darf diese zwei Dinge nicht verwechseln, dachte er:
hier die Kunst, dort die Hilfe für den Nächsten. Er stand irgendwo dazwischen
und zappelte sich mit beidem ab – letztlich der Sohn seiner Mutter. Doch getreu
seiner Theorie betrachtete er Kunst und soziale Verantwortung als zwei
getrennte Akte. Das Durcheinander entstand, wenn gewisse Scharlatane
versuchten, diese Gebiete zu kombinieren. Garp sollte sich sein Leben lang an
seiner Überzeugung abarbeiten, [352] dass
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