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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Walt sagte: »Erzähl weiter. Was ist mit dem Hund
passiert?«
    Garp stand vor einer schweren
Aufgabe, jedes Mal. Wie kommen die Leute auf die Erwartung, dass etwas passiert ? Wenn man eine Geschichte anfängt, die von einem
Menschen oder einem Hund handelt, muss irgendetwas passieren. »Weiter!«, rief
Walt ungeduldig. Wenn Garp in seine Kunst versunken war, vergaß er oft sein
Publikum.
    »Nichts?«, fragte Walt enttäuscht – oder besorgt, dass nichts passieren würde.
    »Nun, fast nichts«, gab Garp zu, und Walt richtete sich auf. »Etwas störte ihn; nur eine bestimmte Sache. Sie allein konnte den Hund wütend machen.
Es war die einzige Sache, die den Hund zum Bellen bringen konnte. Sie machte
ihn richtig verrückt.«
    »Oh, sicher eine Katze!«, rief
Walt.
    »Eine schreckliche Katze«, sagte
Garp mit einer Stimme, die Helen beim Wiederlesen von Der
ewige Gatte innehalten und den Atem anhalten ließ. Der arme Walt, dachte
sie.
    »Warum war die Katze
schrecklich?«, fragte Walt.
    »Weil sie den Hund ärgerte«,
sagte Garp. Helen war erleichtert, dass dies alles zu sein schien, was
»schrecklich« war.
    [368]  »Ärgern ist nicht nett«, sagte
Walt. Er sprach aus Erfahrung – er war Duncans Opfer, was das Ärgern betraf. Duncan sollte diese Geschichte hören, dachte Helen. Eine
Lektion über das Ärgern ist völlig verschenkt bei Walt.
    »Ärgern ist schrecklich «, sagte Garp. »Aber diese Katze war schrecklich.
Sie streunte herum, war verdreckt und böse.«
    »Wie hieß sie?«, fragte Walt.
    »Sie hatte keinen Namen«, sagte
Garp. »Sie gehörte niemandem. Sie hatte immer Hunger und stahl Essen, was ihr
niemand verübeln konnte. Und sie kämpfte ständig mit anderen Katzen, und auch
das konnte ihr niemand verübeln, denke ich. Sie hatte nur noch ein Auge; das
andere Auge fehlte schon so lange, dass das Loch zugewachsen war und das Fell
die Stelle bedeckte, wo das Auge gewesen war. Sie hatte keine Ohren mehr. Sie
hatte sicher immerzu kämpfen müssen.«
    »Das arme Tier!«, rief Helen.
    »Niemand konnte der Katze
verübeln, wie sie war«, sagte Garp, »außer dass sie den Hund ärgerte. Das war
falsch; sie brauchte es nicht zu tun. Sie hatte Hunger, weshalb sie listig sein
musste, und niemand beschützte sie, weshalb sie kämpfen musste. Aber sie brauchte den Hund nicht zu ärgern.«
    »Ärgern ist nicht nett«, sagte
Walt wieder. Eindeutig eine Geschichte für Duncan, dachte Helen.
    »Jeden Tag«, sagte Garp,
»spazierte die Katze den Bürgersteig entlang und blieb am Ende des Durchgangs
stehen, um sich zu putzen. Der Hund kam unter dem Laster hervor und lief so
schnell, dass die Kette hinter ihm [369]  zappelte wie eine Schlange, die gerade
auf der Straße überfahren worden ist. Hast du schon mal so eine Schlange
gesehen?«
    »Na klar«, sagte Walt.
    »Und wenn der Hund zu weit lief,
riss die Kette ihn am Hals zurück, so dass der Hund den Boden unter den Füßen
verlor, auf dem Pflaster des Durchgangs landete und manchmal sogar keine Luft
mehr kriegte oder mit dem Kopf aufschlug. Die Katze rührte sich nie. Die Katze wusste, wie lang die Kette war. Sie blieb sitzen und
putzte sich und starrte den Hund mit ihrem einen Auge an. Der Hund drehte
durch. Er bellte und schnappte und zerrte an seiner Kette, bis der Besitzer des
Cafés, sein Herr, herauskam und die Katze verscheuchte. Dann kroch der Hund wieder
unter den Laster.
    Manchmal kam die Katze gleich
wieder angelaufen, und der Hund blieb so lange unter dem Laster liegen, wie er
es aushalten konnte, was nicht sehr lange war. Er lag da unten, während sich
die Katze auf dem Bürgersteig überall leckte, und bald darauf hörte man den
Hund winseln und jaulen, und die Katze starrte ihn nur an und putzte sich
weiter. Und bald darauf fing der Hund an, unter dem Laster zu heulen und sich
hin- und herzuwerfen, als ob er von Bienen umgeben wäre, aber die Katze putzte
sich einfach weiter. Und dann kam der Hund schließlich unter dem Laster
hervorgesprungen und sauste durch den Durchgang, wobei er die Kette hinter sich
herzog – obwohl er wusste, was geschehen würde. Er wusste, dass die Kette ihn
umreißen und würgen und auf das Pflaster werfen würde und dass die Katze, wenn
er aufstand, immer noch auf demselben Fleck, [370]  nur ein paar Zentimeter
entfernt, sitzen und sich putzen würde. Und er bellte sich heiser, bis sein
Herr oder jemand anders die Katze verscheuchte.
    Der Hund hasste die Katze«, sagte Garp.
    »Ich auch«, sagte Walt.
    »Ich auch«, sagte

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