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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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stolpert er über die am Boden [402]  liegende
Pfanne und kickt sie gegen den Herd. Aber von Mrs. Ralph hört er keinen Ton und
von Bill nur ein Stöhnen. Falls die Jungs aufwachen und etwas brauchen, wird
Mrs. Ralph sie nicht hören, fürchtet er.
    Es ist halb vier in Mrs. Ralphs
endlich stillem Haus, als Garp den Entschluss fasst, die Küche aufzuräumen, um
die Zeit bis zum Morgengrauen herumzubringen. Mit Hausfrauenpflichten vertraut,
lässt Garp das Spülbecken volllaufen und fängt an abzuwaschen.
    Als das Telefon klingelte,
wusste Garp, dass es Helen war. Plötzlich hatte er alles vor Augen – all die
schrecklichen Dinge, die sie sich vorstellen könnte.
    »Hallo«, sagte Garp.
    »Würdest du mir bitte sagen, was
los ist?«, fragte Helen. Garp wusste, dass sie schon lange wach gelegen hatte.
Es war vier Uhr morgens.
    »Nichts ist los, Helen«, sagte
Garp. »Es gab ein paar kleine Schwierigkeiten, und ich wollte Duncan nicht
allein lassen.«
    »Wo ist diese Person?«, fragte
Helen.
    »Im Bett«, gab Garp zu. »Sie ist
hinüber.«
    »Wo von ?«,
fragte Helen.
    »Sie hatte getrunken«, sagte
Garp. »Sie hatte einen jungen Mann bei sich im Haus, und sie wollte, dass ich
ihn hinausspediere.«
    »Dann warst du also allein mit
ihr?«, fragte Helen.
    »Nicht lange«, sagte Garp. »Sie
ist eingeschlafen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen,
dass du lange brauchst«, sagte Helen, »bei ihr nicht.«
    [403]  Garp ließ eine Pause
eintreten. Helen hatte ihn schon eine ganze Weile mit ihren Eifersuchtsanfällen
verschont, aber nicht lange genug, als dass er sich nicht noch sehr genau daran
erinnern konnte.
    »Da spielt sich nichts ab,
Helen«, sagte Garp.
    »Sag mir genau, was du gerade
machst, jetzt in diesem Augenblick«, sagte Helen.
    »Ich wasche ab«, teilte Garp ihr
mit. Er hörte sie tief durchatmen.
    »Ich frage mich, warum du noch
dort bist«, sagte Helen.
    »Ich wollte Duncan nicht allein
lassen«, sagte Garp.
    »Ich denke, du solltest Duncan
nach Hause bringen«, sagte Helen. »Sofort.«
    »Helen«, sagte Garp. »Ich war
wirklich brav.« Es klang seltsam schuldbewusst, sogar für Garp; außerdem wusste
er selbst, dass er nicht ganz brav war. »Es ist
nichts passiert«, fügte er hinzu und war froh, dass zumindest diese Aussage
einigermaßen der Wahrheit entsprach.
    »Ich will nicht fragen, warum du
ihr schmutziges Geschirr spülst«, sagte Helen.
    »Um die Zeit totzuschlagen«,
antwortete Garp.
    Aber in Wahrheit wusste er selbst
nicht, was in ihn gefahren war, und es kam ihm plötzlich sinnlos vor, auf das
Morgengrauen zu warten – als passierten Unfälle nur bei Dunkelheit. »Ich warte
darauf, dass Duncan aufwacht«, sagte er, merkte aber schon, während er es
sagte, dass das ebenfalls nicht plausibel klang.
    »Warum weckst du ihn nicht
einfach?«, fragte Helen.
    »Ich bin ein guter
Tellerwäscher«, sagte Garp in dem Bemühen um einen leichteren Ton.
    [404]  »Ich kenne all die Dinge, in denen du gut bist«, sagte Helen eine Spur zu bitter, als dass
es noch als Scherz durchgehen konnte.
    »Helen, bitte, du machst dich
noch verrückt, wenn du immer gleich so was denkst«, sagte Garp. »Hör bloß auf
damit. Ich habe wirklich nichts Unrechtes getan.« Aber Garp mit seinem puritanischen
Gewissen schämte sich für den Ständer, den er bei Mrs. Ralph bekommen hatte.
    »Ich bin schon ganz krank«, sagte
Helen, aber ihre Stimme wurde weicher. »Bitte, komm jetzt nach Hause.«
    »Soll ich Duncan etwa hier allein
lassen?«
    »Dann weck ihn doch um Himmels
willen«, sagte sie. »Oder trag ihn.«
    »Ich bin gleich zu Hause«, sagte
Garp. »Mach dir bitte keine Sorgen, und denk nicht, was du denkst. Ich werde
dir haarklein erzählen, was passiert ist. Die Geschichte wird dir
wahrscheinlich sehr gefallen.« Aber er wusste, dass er Probleme bekommen würde,
wenn er ihr die ganze Geschichte erzählte, und dass
er sich vorab genau überlegen musste, welche Teile er besser ausließ.
    »Es geht mir schon besser«, sagte
Helen. »Bis nachher. Und jetzt ist Schluss mit Abwaschen.« Dann legte sie auf,
und Garp sah sich prüfend in der Küche um. Viel geleistet hatte er noch nicht,
fand er. Mrs. Ralph würde gar nicht merken, dass die Räumungsarbeiten bereits
in Angriff genommen worden waren.
    Garp suchte Duncans Sachen unter
den vielen, überall im Wohnzimmer verstreuten, unappetitlichen Kleiderhaufen.
Er kannte Duncans Sachen, konnte sie aber nirgends entdecken; dann fiel ihm
ein, dass sein Sohn seine Sachen [405]  wie ein

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