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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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vor, wie er ihn am Schlawittchen packt, aber weil
es keinen Spaß macht, wenn der Junge keine Angst vor ihm hat, und weil Garp ihm
nicht unbedingt weh tun will, bleibt er stehen und winkt ihm zum Abschied zu.
Der Junge zeigt ihm den Stinkefinger, dreht sich um und trottet davon, sein
albernes Gewand hinter sich herschleifend wie ein früher Christ, der sich in
die Außenbezirke verirrt hat.
    Nimm dich vor den Löwen in Acht,
denkt Garp und wünscht dem jungen Mann innerlich alles Gute. In ein paar Jahren
wird Duncan in seinem Alter sein, und Garp kann nur hoffen, dass er sich
weniger schwertun wird, mit seinem Sohn zu kommunizieren.
    Als er wieder ins Haus kommt, ist
Mrs. Ralph in Tränen aufgelöst. Garp hört sie mit dem Hund reden. »O Bill,
verzeih, dass ich dich beschimpft habe. Du bist so lieb.«
    »Auf Wiedersehen!«, ruft Garp die
Treppe hoch. »Ihr Freund ist gegangen, und ich gehe jetzt auch.«
    »Scheiße!«, brüllt Mrs. Ralph.
»Wie können Sie mich einfach so allein lassen?« Ihr Gejammer wird lauter;
gleich fängt der Hund an zu bellen, fürchtet Garp.
    [397]  »Was kann ich tun?«, ruft Garp
die Treppe hoch.
    »Bleiben und mit mir reden,
Kruzifix noch einmal!«, schreit Mrs. Ralph. »Sie scheinheiliger Scheißfreak!«
    Was ist eigentlich ein Freak?, fragt sich Garp, während er die Treppe hinaufsteigt.
    »Sie denken wahrscheinlich, das
passiert mir jeden Tag«, sagt Mrs. Ralph. Sie sitzt wie ein Häuflein Elend im
Schneidersitz auf ihrem Wasserbett, den Kimono eng um sich gezogen und Bills
großen Kopf auf dem Schoß.
    Garp denkt estatsächlich , schüttelt aber den Kopf.
    »Es macht mir nichts aus, mich zu
demütigen, verstehen Sie?«, sagt Mrs. Ralph. »So setzen Sie sich doch endlich!«
Sie zieht Garp auf das schaukelnde Bett. »In dem verdammten Ding ist nicht
genug Wasser«, erklärt Mrs. Ralph. »Mein Mann hat es dauernd nachgefüllt, weil
es leckt.«
    »Es tut mir leid«, sagt Garp. Der
Eheberater.
    »Ich kann nur hoffen, dass Sie Ihre Frau nie sitzenlassen«, ermahnt ihn Mrs. Ralph. Sie
nimmt seine Hand und hält sie in ihrem Schoß fest; der Hund leckt ihm die
Finger. »Es ist das Beschissenste, was ein Mann tun kann«, sagt Mrs. Ralph. »Er
hat gesagt, er hätte all die Jahre bloß so getan, als ob er mich liebt. Alles
sei nur geheuchelt gewesen. Und dann hat er gesagt,
fast jede Frau, egal ob alt oder jung, sehe für seinen Geschmack besser aus als
ich. Nicht sehr nett, oder?«
    »Nein, wirklich nicht«, stimmt
Garp zu.
    »Bitte, glauben Sie mir. Ich habe
nie mit irgendwem rumgemacht, bis er mich verließ.«
    »Ich glaube Ihnen«, sagt Garp.
    »Mein Selbstvertrauen als Frau
war so ziemlich im [398]  Keller«, sagt Mrs. Ralph. »Darf ich mich denn nicht auch
ein bisschen amüsieren?«
    »Unbedingt«, sagt Garp.
    »Aber es gelingt mir so
schlecht!«, bekennt Mrs. Ralph und schlägt die Hände vors Gesicht. Der Hund
versucht, ihr das Gesicht zu lecken, aber Garp schiebt ihn weg; der Hund denkt,
Garp wolle mit ihm spielen, und macht einen Satz über Mrs. Ralphs Schoß hinweg.
Garp gibt ihm einen Nasenstüber, der ein wenig zu heftig ausfällt, worauf das
arme Tier sich winselnd verkriecht. »Tun Sie bloß Bill nicht weh!«, schreit
Mrs. Ralph.
    »Ich habe nur versucht, Ihnen zu
helfen«, sagt Garp.
    »Sie helfen mir nicht, wenn Sie Bill weh tun«, sagt Mrs. Ralph. » Mein
Gott, sind denn alle durchgedreht?«
    Garp sinkt auf das Wasserbett
zurück und schließt die Augen; das Bett wogt wie ein kleiner Ozean, und Garp
stöhnt. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen soll«,
gesteht er. »Es tut mir sehr leid, was Ihnen da passiert ist, aber was kann ich
denn machen? Wenn Sie reden wollen – bitte sehr, ich höre Ihnen gern zu«, sagt
er, die Augen immer noch fest geschlossen, »aber für Ihre Gefühle kann ich
nichts.«
    »Wirklich eine sehr aufmunternde
Bemerkung«, sagt Mrs. Ralph. Bill atmet in Garps Haare. Er
spürt ein zaghaftes Lecken am Ohr und fragt sich: Ist das Bill oder Mrs. Ralph?
Dann spürt er, wie ihre Hand in seine Turnhose fährt, und denkt: Wenn ich nicht
gewollt hätte, was sie da macht, warum habe ich mich dann aufs Bett gelegt?
    »Bitte nicht!«, sagt er. Sicher
spürt sie, dass er kein Interesse hat, zumindest zieht sie ihre Hand zurück.
Doch dann legt sie sich neben ihn, rollt herum und schmiegt sich [399]  mit dem
Rücken an ihn. Das Bett gluckert heftig, als Bill versucht, sich zwischen sie
zu zwängen, doch Mrs. Ralph stößt ihn so fest mit dem Ellbogen in die

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