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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Hamster unten in seinem Schlafsack
aufbewahrte und dann zu ihnen ins Nest kroch. Duncan wog gut und gerne
sechsunddreißig Kilo, zuzüglich Schlafsack, zuzüglich Anziehsachen, doch Garp
traute sich zu, den Jungen nach Hause tragen zu können; sein Fahrrad konnte
Duncan ein andermal abholen. Jedenfalls würde er Duncan nicht in Ralphs Haus
wecken. Er wollte keine Szene riskieren: Duncan würde vielleicht protestieren,
wenn er vorzeitig nach Hause musste. Und Mrs. Ralph wollte er auch nicht
wecken.
    Mrs. Ralph! Wütend gestand er
sich ein, dass er sie wenigstens noch ein Mal betrachten wollte; seine sogleich
wiederkehrende Erektion erinnerte ihn daran, dass er ihren dicken derben Körper
wiedersehen wollte. Schnell schlich er zur Hintertreppe. Er hätte ihr
stinkendes Zimmer mit der Nase finden können.
    Er betrachtete ihre Scham, ihren
eigenartig gewundenen Nabel, ihre (für so große Brüste) ziemlich kleinen
Brustwarzen. Er hätte als Erstes ihre Augen betrachten sollen, dann hätte er
gemerkt, dass Mrs. Ralph hellwach war und ihn ihrerseits anstarrte.
    »Abwasch fertig?«, fragte sie. »Wollen
Sie schnell noch auf Wiedersehen sagen?«
    »Ich wollte nur sehen, ob Ihnen
auch nichts fehlt.«
    »Quatsch«, sagte sie. »Sie
wollten mich noch mal ansehen.«
    »Ja«, gestand er und wandte den
Blick ab. »Es tut mir leid.«
    »Warum denn?«, sagte sie.
»Dadurch ist mein Tag gerettet.« Garp lächelte schief.
    [406]  »Ständig
tut Ihnen alles leid«, sagte Mrs. Ralph. »Was sind Sie doch für eine
leidvolle Gestalt. Nur nicht für Ihre Frau«, sagte Mrs. Ralph. » Ihr haben Sie bestimmt noch kein einziges Mal gesagt, dass
es Ihnen leidtut.«
    Neben dem Wasserbett stand ein
Telefon. Garp hatte das Gefühl, dass er sich noch nie in einem Menschen so
verschätzt hatte, wie er sich in Mrs. Ralph verschätzt hatte. Sie war plötzlich
nicht betrunkener als Bill – oder sie war auf wunderbare Weise nüchtern
geworden, oder sie genoss jene halbe Stunde Klarheit zwischen Betäubung und
Kater – eine halbe Stunde, über die Garp gelesen hatte, die er aber immer für
einen Mythos gehalten hatte. Eine weitere Illusion.
    »Ich nehme Duncan mit nach
Hause«, sagte Garp. Sie nickte.
    »Wenn ich Sie wäre«, sagte sie,
»würde ich ihn auch mit nach Hause nehmen.«
    Garp unterdrückte mit Mühe ein
weiteres »Es tut mir leid«.
    »Tun Sie mir bitte einen
Gefallen!«, bat Mrs. Ralph. Garp betrachtete sie weiter ungeniert, was ihr
nichts auszumachen schien. »Erzählen Sie Ihrer Frau nicht alles über mich, okay? Stellen Sie mich nicht als eine völlige Schlampe hin.
Vielleicht könnten Sie mich mit ein bisschen Mitgefühl beschreiben.«
    »Ich habe ziemlich viel
Mitgefühl«, murmelte Garp.
    »Sie haben da auch einen ziemlich
großen Schwanz «, sagte Mrs. Ralph und starrte auf
Garps ausgebeulte Turnhose. » Damit sollten Sie lieber
nicht nach Haus gehen.« Garp sagte nichts. Der Hieb saß, doch wie Garp, der [407]  Puritaner,
fand, hatte er ihn verdient. »Ihre Frau passt doch hoffentlich gut auf Sie auf,
ja?«, sagte Mrs. Ralph. »Ich nehme an, Sie sind nicht immer brav gewesen. Wissen Sie, was mein Mann von Ihnen gesagt hätte?«, fragte sie.
»Sie stehen unter dem Pantoffel Ihrer Frau – das hätte mein Mann gesagt.«
    »Ihr Mann muss ein ganz schönes
Arschloch gewesen sein«, sagte Garp, dem diese, wenn auch schwache,
Retourkutsche wohltat, aber gleichzeitig fragte er sich, wie er diese Frau je
für eine Schlampe hatte halten können.
    Mrs. Ralph erhob sich von ihrem
Bett und stellte sich vor Garp hin. Ihre Brüste berührten seine Brust. Garp
fürchtete, sein Ständer könne sie anstoßen. »Sie werden wiederkommen«, sagte
Mrs. Ralph. »Wollen wir wetten?« Garp verließ sie ohne ein weiteres Wort.
    Er hatte sich noch keine
fünfhundert Meter von Mrs. Ralphs Haus entfernt – Duncan steckte tief unten im
Schlafsack und zappelte auf seiner Schulter –, als ein Streifenauto neben ihm
auftauchte, an den Bordstein fuhr und er wie ertappt im kreiselnden Blaulicht dastand. Ein hinterhältiger halbnackter
Kindsentführer, der sich mit einem Bündel gestohlener Dinge und verstohlener
Blicke und dem gestohlenen Kind davonschleicht.
    »Was haben Sie da, junger Mann?«,
fragte ihn einer der Polizisten. Sie waren zu zweit in dem Streifenwagen, und
hinten auf dem Rücksitz saß eine dritte Gestalt, die kaum zu sehen war.
    »Meinen Sohn«, sagte Garp. Beide
Polizisten stiegen aus dem Auto.
    »Wo wollen Sie mit ihm hin?«,
fragte ihn der

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