Garp und wie er die Welt sah
nicht!«, sagte Walt.
»Sieh dich jetzt nach einem Film
um, der interessant aussieht, Duncan«, sagte Garp.
»Ich kann aber nichts sehen, wenn
ich nicht zwischen den Sitzen knie«, sagte Duncan.
Sie fuhren herum. Die Kinos waren
alle in demselben Häuserblock, aber sie mussten einige Male an ihnen
vorbeifahren, um sich für einen Film zu entscheiden, und dann mussten sie noch
einige Male an ihnen vorbeifahren, um einen Parkplatz zu finden.
Die Kinder beschlossen, in das
einzige Kino zu gehen, vor dem die Leute Schlange standen – vom Vordach des
Kinos aus ein weites Stück den Bürgersteig hinunter, der sich jetzt mit
gefrierendem Regen überzog. Garp legte Walt seine Jacke über den Kopf, so dass
Walt schnell einem schlecht gekleideten Straßenbettler glich – einem klammen
Zwerg, der bei schlechtem Wetter um Mitgefühl bettelt. Er trat prompt in eine
Pfütze und machte sich die Füße nass, worauf Garp ihn hochhob und seine Brust
abhorchte. Es war fast, als dachte Garp, das Wasser in Walts nassen Schuhen
lief unmittelbar in seine kleinen Lungen.
»Du bist so komisch, Dad«, sagte Duncan.
Walt sah ein sonderbares Auto und
zeigte darauf. Das Auto fuhr schnell die klitschnasse Straße hinunter; durch
die grellen Pfützen platschend, zog es das reflektierte Neonlicht auf sich –
ein großes Auto von der Farbe geronnenen Blutes; es hatte Holzleisten an den
Seiten, und das gelbe Holz glänzte im hellen Schein der Straßenlaternen. [502] Die
Leisten sahen aus wie die Gräten eines langen beleuchteten Gerippes von einem
Fisch, der durch den Mondschein glitt.
»Sieh mal, das Auto!«, rief Walt.
»Wow, ein Leichenwagen «, sagte Duncan.
»Nein, Duncan«, sagte Garp. »Das
ist ein alter Buick. Noch vor deiner Zeit.«
Der Buick, den Duncan für einen
Leichenwagen hielt, war auf dem Weg zu Garps Haus, obwohl Helen alles getan
hatte, um Michael Milton davon abzubringen, zu ihr zu kommen.
»Wir können uns nicht mehr
sehen«, sagte sie zu ihm, als sie anrief. »Es ist einfach so. Es ist aus, genau
wie ich sagte, es würde aus sein, wenn er je dahinterkäme. Ich werde ihm nicht
noch mehr weh tun, als ich ihm schon weh getan habe.«
»Und was ist mit mir?«, fragte
Michael Milton.
»Es tut mir leid«, erklärte Helen
ihm. »Aber du hast es gewusst. Wir haben es beide
gewusst.«
»Ich möchte dich sehen «, sagte er. »Wie wär’s mit morgen?«
Aber sie sagte ihm, dass Garp
einzig und allein deshalb mit den Jungen ins Kino gegangen sei, damit sie heute
Abend Schluss mache.
»Ich komme zu dir«, sagte er.
»Nicht hierher, nein«, sagte sie.
»Wir fahren spazieren«, sagte er
zu ihr.
»Ich kann auch nicht aus dem
Haus«, sagte sie.
»Ich komme«, sagte Michael Milton
und legte auf.
Helen überschlug, wie viel Zeit
ihr blieb. Es würde [503] gehen, nahm sie an, wenn sie es schaffte, ihn schnell
loszuwerden. Filme dauerten mindestens anderthalb Stunden. Sie beschloss, ihn
nicht ins Haus zu lassen – unter keinen Umständen. Sie passte auf, bis die
Scheinwerfer die Einfahrt heraufkamen, und als der Buick hielt – genau vor der
Garage, wie ein großer Dampfer, der an einem dunklen Kai anlegt –, lief sie aus
dem Haus und stellte sich vor die Tür an der Fahrerseite, ehe Michael Milton
sie aufmachen konnte.
Der Regen verwandelte sich zu
ihren Füßen in Matsch. Und die eisigen Tropfen wurden im Fallen härter – sie
piksten irgendwie, wenn sie ihren bloßen Nacken trafen, während sie sich nach
vorn beugte, um durch das heruntergekurbelte Fenster mit ihm zu sprechen.
Er küsste sie sofort. Sie
versuchte, ihm ein Küsschen auf die Wange zu geben, aber er drehte ihren Kopf
herum und steckte ihr gewaltsam die Zunge in den Mund. Sie hatte gleich wieder
das banale Schlafzimmer seiner Wohnung vor Augen: das große Poster über seinem
Bett – Paul Klees Sindbad der Seefahrer. Sie nahm an,
so sah er sich selbst: ein schillernder Abenteurer, aber empfänglich für die
Schönheit Europas.
Helen machte sich von ihm los und
fühlte, wie der kalte Regen ihre Bluse durchnässte.
»Wir können nicht einfach aufhören «, sagte er jämmerlich. Helen konnte nicht
erkennen, ob es Regentropfen, die durch das geöffnete Fenster hineinwehten,
oder Tränen waren, die ihm das Gesicht hinunterliefen. Zu ihrer Überraschung
hatte er sich den Schnurrbart abrasiert, und seine Oberlippe sah ein bisschen
so aus wie die runzlige [504] unausgebildete Lippe eines Kindes – wie Walts kleine
Lippe, die bei Walt süß aussah, dachte
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