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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte, wie sehr sie Garp weh getan [495]  hatte, dann erstarben ihre
Gefühle für ihn nun langsam, und sie fühlte wieder für sich.
    »Sag ihm, er soll sich vor Gram
verzehren«, sagte Garp. »Du wirst ihn nicht mehr sehen. Kein Abschiedsfick,
Helen. Sag ihm einfach Lebewohl. Am Telefon.«
    »Kein Mensch hat etwas von
›Abschiedsfick‹ gesagt«, sagte Helen.
    »Mach es am Telefon«, sagte Garp.
»Ich gehe mit den Jungen aus. Wir sehen uns einen Film an. Sei bitte damit
fertig, wenn wir wiederkommen. Du wirst ihn nicht
mehr sehen.«
    »Ich verspreche es«, sagte Helen.
»Aber ich sollte ihn noch sehen, nur ein einziges Mal – um es ihm zu sagen.«
    »Du findest wohl noch, du hättest
diese Sache weiß Gott wie fair geregelt«, sagte Garp.
    Helen fand es bis zu einem
gewissen Grad wirklich; sie sagte aber nichts. Sie
fand, sie habe Garp und die Kinder während ihrer Schwäche nie aus den Augen
verloren; sie fand es gerechtfertigt, die Sache jetzt auf ihre Weise zu regeln.
    »Wir sollten später darüber
reden«, sagte sie zu ihm. »Es wird eine Perspektive geben, irgendwie.«
    Er hätte sie geschlagen, wenn die
Kinder nicht ins Zimmer geplatzt wären.
    »Eins, zwei, drei«, befahl Duncan
Walt.
    »Die Cornflakes sind
vergammelt!«, brüllten Duncan und Walt gemeinsam.
    »Bitte, Jungs«, sagte Helen.
»Euer Vater und ich haben einen kleinen Streit. Geht wieder nach unten.«
    Sie starrten sie an.
    [496]  »Bitte«, sagte Garp zu ihnen.
Er wandte sich von ihnen ab, damit sie ihn nicht weinen sahen, aber Duncan
wusste es wahrscheinlich, und Helen wusste es bestimmt. Walt bekam es
wahrscheinlich nicht mit.
    »Streit?«, fragte Walt.
    »Los«, sagte Duncan zu ihm; er
nahm Walt bei der Hand. Duncan zog Walt aus dem Schlafzimmer hinaus.» Los, Walt, sonst können wir
nicht mehr ins Kino.«
    »Au ja, das Kino!«, rief Walt.
    Zu seinem Schrecken erkannte Garp
die Art ihres Fortgehens wieder – Duncan führte Walt fort, die Treppe hinunter;
der kleinere Junge drehte sich um und blickte zurück. Walt winkte, aber Duncan
zog ihn weiter. Sie gingen und verschwanden, im Luftschutzbunker. Garp vergrub
das Gesicht in seinen Sachen und weinte.
    Als Helen ihn berührte, sagte er:
»Fass mich nicht an«, und fuhr fort zu weinen. Helen machte die Schlafzimmertür
zu.
    »O nein«, flehte sie. » Das ist er nicht wert; er war nichts. Er hat mir nur Spaß gemacht«, versuchte sie zu erklären, aber Garp schüttelte heftig den Kopf und
warf seine Hose nach ihr. Er war immer noch erst halb angezogen – ein Zustand,
sagte sich Helen, der für Männer vielleicht der kompromittierendste war: wenn
sie weder Fisch noch Fleisch waren. Eine halbangezogene Frau schien eine
gewisse Macht auszuüben, aber ein Mann sah einfach nicht so gut aus, wie wenn
er nackt war, und nicht so sicher, wie wenn er bekleidet war. »Zieh dich bitte
an«, flüsterte sie und gab ihm seine Hose zurück. Er nahm sie, zog sie an und
weinte weiter.
    [497]  »Ich tue alles, was du
willst«, sagte sie.
    »Du wirst ihn nicht mehr sehen?«,
sagte er zu ihr.
    »Nein, nicht ein einziges Mal«,
sagte sie. »Nie mehr.«
    »Walt hat eine Erkältung«, sagte
Garp. »Eigentlich sollte er gar nicht nach draußen gehen, aber das Kino kann
ihm nicht schaden. Und wir kommen nicht spät zurück«, fügte er hinzu. »Sieh
bitte nach, ob er warm genug angezogen ist.« Sie tat es.
    Er öffnete ihre obere Schublade,
wo ihre Wäsche lag, und zog die Schublade aus der Kommode heraus; er grub sein
Gesicht in die wunderbare Seidigkeit und den Duft ihrer Sachen – wie ein Bär,
der einen Trog mit Futter in den Vorderpfoten hält und sich dann darin
verliert. Als Helen ins Zimmer zurückkam und ihn dabei ertappte, war es fast,
als hätte sie ihn beim Onanieren erwischt. Verlegen nahm er die Schublade auf
sein Knie und zerbrach sie; ihre Unterwäsche flog heraus. Er hob die
zerbrochene Schublade über den Kopf und schleuderte sie auf den Kommodenrand
hinunter; dabei hatte er das Gefühl, das Rückgrat eines Tieres zu
zerschmettern, das etwa so groß war wie die Schublade. Helen rannte aus dem
Zimmer, und er zog sich fertig an.
    Er sah, dass Duncan einigermaßen
aufgegessen hatte, und er sah Walts nicht aufgegessenes Essen auf Walts Teller
und auf verschiedenen Stellen des Tisches und des Fußbodens. »Wenn du nicht
ordentlich isst, Walt«, sagte Garp, »bist du später, wenn du groß wirst, ein Mickerling. «
    »Ich werde aber nicht groß«,
sagte Walt.
    Das ließ Garp so erschauern, dass
er

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