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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Garp.
    »Nein!«,zischte
Duncan.
    »Walt ist krank«, murmelte Garp.
»Er dürfte gar nicht hier sein.«
    »Ich bin nicht krank«, sagte
Walt.
    »Er ist nicht so krank«, sagte Duncan.
    »Steht sofort auf«, sagte Garp.
Er musste Duncan vorn am Hemd packen, was Walt bewog, aufzustehen und in den
Mittelgang zu stolpern. Duncan kam nörgelnd hinter ihm hergeschlurft.
    »Was ist ein Duell ?«, fragte Walt Duncan.
    »Etwas ganz Tolles«, sagte
Duncan. »Jetzt kannst du es nie mehr sehen.«
    »Lass das, Duncan«, sagte Garp.
»Sei nicht so gemein.«
    [513]  » Du bist gemein«, sagte Duncan.
    »Ja, Dad«, sagte Walt.
    Der Volvo war in Eis gehüllt, die
Windschutzscheibe völlig zugefroren; irgendwo im Kofferraum lagen verschiedene
Schaber und Schneefeger und dergleichen, nahm Garp an. Aber es war März, und
der Winter hatte viel von den Sachen verbraucht, oder die Kinder hatten damit
gespielt und sie verloren. Außerdem wollte er sich auch nicht die Zeit nehmen,
die Windschutzscheibe freizukratzen.
    »Wie kannst du denn sehen?«,
fragte Duncan.
    »Ich lebe hier, ich brauche nicht
zu sehen.«
    Aber er musste das Fenster auf
der Fahrerseite herunterkurbeln und den Kopf in den hagelharten Eisregen
hinausstrecken; so fuhr er nach Hause.
    »Es ist kalt«, sagte Walt mit
klappernden Zähnen. »Mach das Fenster zu!«
    »Es muss offen bleiben, damit ich
sehen kann«, sagte Garp.
    »Ich friere so!«, rief Walt. Er
hustete dramatisch.
    Aber all das war, so wie Garp es
sah, Helens Schuld. Sie war verantwortlich dafür, wie Walt unter seiner
Erkältung litt, oder dafür, dass sie schlimmer wurde: es war ihre Schuld. Und
für Duncans Enttäuschung über seinen Vater, wegen der unverzeihlichen Art, wie
Garp den Jungen im Kino genommen und vom Sitz gezogen hatte: Helen war verantwortlich. Das Luder mit ihrem unterentwickelten Lover!
    Aber in diesem Moment tränten
seine Augen in dem kalten Wind und dem Eisregen, und er dachte im Stillen, wie [514]  sehr
er Helen liebte und dass er ihr nie wieder untreu sein würde – ihr nie wieder
so weh tun würde, das würde er ihr versprechen.
    In demselben Augenblick bekam
Helen ein gutes Gewissen. Ihre Liebe zu Garp war ganz rein. Und sie merkte,
dass Michael Milton kurz vor dem Kommen war; er zeigte die vertrauten
Anzeichen. Der Winkel, in dem er sich in der Taille bog, und die merkwürdige
Art, wie er die Lippen spitzte; die Anspannung des sonst wenig gebrauchten
Muskels an der Innenseite der Schenkel. Es ist beinahe aus, dachte Helen. Ihre
Nase berührte das kalte Messing seiner Gürtelschnalle, und ihr Schädel prallte
von unten gegen das Steuer, das Michael Milton umklammert hielt, als rechnete
er damit, dass der Drei-Tonnen-Buick abheben würde.
    Garp erreichte den Anfang seiner
Einfahrt mit ungefähr sechzig Stundenkilometern. Er kam im dritten Gang die
abschüssige Straße heruntergefahren und gab beim Abbiegen noch kurz Gas; er
prüfte mit einem flüchtigen Blick, wie weit die Einfahrt mit gefrorenem Matsch
überzogen war, und sorgte sich kurz, der Volvo könnte in der kurzen,
aufwärtsführenden Kurve ins Rutschen kommen. Er ließ den Gang drinnen, bis er
fühlte, dass er Halt auf der Straße hatte; es reichte, und er schob den spitzen
Schalthebel in Leerlaufstellung – eine Sekunde, ehe er den Motor abstellte und
die Scheinwerfer ausschaltete.
    Sie rollten in den schwarzen
Regen hinauf. Es war wie der Augenblick, wenn man fühlt, wie das Flugzeug von
der Piste abhebt; die Jungen schrien auf vor Begeisterung. Garp konnte die
Jungen, die sich um ihren Lieblingsplatz zwischen den Sitzen balgten, an seinem
Ellbogen spüren.
    [515]  »Wie kannst du jetzt sehen?«, fragte Duncan.
    »Er braucht nicht zu sehen«,
sagte Walt. In Walts Stimme war ein schriller Ton, der Garp vermuten ließ, dass
Walt sich selbst beruhigen wollte.
    »Ich kenne das hier wie meine
Westentasche«, beruhigte Garp die beiden.
    »Es ist wie unter Wasser!«, rief
Duncan; er hielt den Atem an.
    »Es ist wie ein Traum!«, sagte
Walt; er griff nach der Hand seines Bruders.

[516]  14
    Mark Aurel und wie er die Welt
sah
    So kam es, dass Jenny
Fields wieder Krankenschwester wurde, oder zumindest etwas in der Art; nach all
den Jahren, in denen sie in ihrer weißen Uniform die Frauenbewegung gepflegt
hatte, war Jenny jetzt für ihre Rolle richtig gekleidet. Auf ihren Vorschlag
zogen die Garps auf den Fields’schen Besitz in Dog’s Head Harbor. Da waren die
vielen Räume, in denen Jenny sie umsorgen konnte, und da war das

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