Garp und wie er die Welt sah
fast
seitlich gedreht, und sein Gesicht war so hart auf das Steuerrad aufgeschlagen,
dass er sich den Kiefer brach und sich die Zunge zerbiss (zwölf Stiche). In den
langen Wochen seiner Genesung in Dog’s Head Harbor konnte Jenny von Glück
sagen, dass sie so viel Erfahrung mit Ellen-Jamesianerinnen besaß, da Garps
Mund zugeklammert wurde und seine Botschaften an seine Mutter ausschließlich
schriftlich waren. Manchmal schrieb er mit der Schreibmaschine Seiten um
Seiten, die Jenny anschließend Duncan vorlas – weil Duncan, obwohl er lesen
konnte, Anweisung hatte, das ihm verbliebene Auge nicht mehr als unbedingt
nötig anzustrengen. Mit der Zeit würde sich das eine Auge an den Verlust des
anderen Auges gewöhnen, aber Garp hatte viel zu sagen, was nicht warten konnte – und von dem er nicht wusste, wie er es sagen sollte. Wenn er merkte, dass
seine Mutter seine Mitteilungen – an Duncan und an Helen (der er ebenfalls
Seiten um Seiten schrieb) – redigierte, grunzte er seinen Protest durch die
Klammern, wobei er seine wunde Zunge möglichst still hielt. Und Jenny Fields
verlegte ihn klugerweise in ein Einzelzimmer, denn sie war eine gute
Krankenschwester.
»Dies ist das Dog’s Head Harbor
Hospital«, sagte Helen einmal zu Jenny. Helen konnte zwar reden, aber sie sagte
wenig; sie hatte nicht Seiten um Seiten zu sagen. Sie verbrachte den größten
Teil ihrer Genesung in Duncans [520] Zimmer und las dem Jungen vor, denn Helen war
eine bessere Vorleserin als Jenny, und Helens Zunge hatte nur zwei Stiche. In
der Zeit der Genesung kam Jenny Fields besser mit Garp zurecht, als Helen mit
ihm zurechtkommen konnte.
Helen und Duncan saßen oft
nebeneinander in Duncans Zimmer. Duncan hatte einen schönen, einäugigen Blick
auf das Meer, das er den ganzen Tag lang beobachtete, als wäre er eine Kamera.
Sich daran zu gewöhnen, nur ein Auge zu haben, ist fast so, wie wenn man sich
daran gewöhnt, die Welt durch eine Kameralinse zu sehen; es gibt Entsprechungen
im Blickfeld und in den Problemen der Tiefenschärfe. Als Duncan bereit schien,
diese Parallelität zu entdecken, kaufte Helen ihm eine Kamera – eine einlinsige
Spiegelreflexkamera; für Duncan war dies das vernünftigste Modell.
In dieser Zeit, sollte Duncan
Garp sich später erinnern, kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, Künstler, Maler
oder Fotograf zu werden; er war fast elf. Obwohl er immer sportlich gewesen
war, bewirkte sein eines Auge, dass er (wie sein Vater) allen Ballsport scheel
ansah. Selbst beim Laufen, sagte er, störte ihn das unzureichende periphere
Sehen; Duncan behauptete, es mache ihn tolpatschig. Schließlich wurde Garps
Kummer noch dadurch vergrößert, dass Duncan sich auch nichts aus Ringen machte.
Duncan sah die Sache aus dem Blickwinkel der Kamera, und er erklärte seinem Vater,
eines seiner Probleme mit der Tiefenschärfe liege darin, dass er nicht wisse,
wie weit die Matte entfernt sei. »Wenn ich ringe«, erklärte er Garp, »habe ich
das Gefühl, ich falle im Dunkeln nach unten; ich weiß erst dann, ob ich unten
bin, wenn ich es fühle. «Garp
schloss daraus [521] natürlich, dass Duncan aufgrund des Unfalls in puncto Sport
grundsätzlich verunsichert war, aber Helen wies ihn darauf hin, dass Duncan
beim Sport schon immer eine gewisse Scheu, eine gewisse Zurückhaltung gezeigt
habe. Obwohl er bei Mannschaftsspielen gut abschnitt und zweifellos sehr
gelenkig war, hatte er immer dazu geneigt, sich auszuklinken. Oder jedenfalls
nicht so begeistert mitzumachen wie Walt, der sich unerschrocken, optimistisch,
anmutig und tollkühn in jede neue Situation stürzte. Walt, sagte Helen, war der
eigentliche Sportler der Familie. Nach einer Weile nahm Garp an, sie habe
recht.
»Weißt du, Helen hat oft recht«, erklärte Jenny ihm eines Abends in Dog’s Head
Harbor. Der Kontext dieser Bemerkung hätte irgendeiner sein können, aber sie
fiel irgendwann bald nach dem Unfall, weil Duncan ein Zimmer für sich hatte und
Helen ein Zimmer für sich hatte und Garp ein Zimmer für sich hatte und so fort.
Helen hatte oft recht, hatte
seine Mutter ihm gesagt, aber Garp machte ein wütendes Gesicht und schrieb
Jenny eine Mitteilung.
Diesmal
aber nicht, Mom,
lautete die Mitteilung. Er
meinte damit – vielleicht – Michael Milton. Er meinte damit: die ganze Sache.
Michael Milton war nicht der
ausdrückliche Grund dafür, dass Helen kündigte. Jennys großes Krankenhaus am
Meer, wie später beide, sowohl Garp als auch Helen, es sehen sollten, war
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