Garp und wie er die Welt sah
Eagle-Sturms, an dem sie mitgewirkt hatte, als sie noch [525] Robert
Muldoon, Nr. 90, gewesen war, und sie vergegenwärtigte sich für Duncan ihre
gelegentlichen Touchdowns, ihre verlorenen Bälle, ihre Verwarnungen wegen
Abseitsstellung, ihre gemeinsten Rempeleien. »Es war gegen die Cowboys«,
erzählte sie Duncan. »Wir spielten in Dallas, als diese hinterlistige Klapperschlange – alle nannten ihn Eight Ball – plötzlich auf mich losging, und zwar von der
Seite, wo ich nichts sehen konnte…« Und Roberta betrachtete den stillen Jungen,
der sein Leben lang eine Seite haben würde, auf der er nichts sehen konnte, und
wechselte geschickt das Thema.
Das andere – kitzlige – Thema,
für das sich Garp, wie Roberte wusste, interessierte, war ihre
Geschlechtsumwandlung, und sie wusste auch, dass Garp umso lieber etwas darüber
erfuhr, als es von seinem eigenen so weit entfernt war.
»Ich habe immer gewusst, dass ich
eigentlich ein Mädchen hätte sein sollen«, erzählte sie Garp. »Ich träumte
davon, geliebt zu werden, von einem Mann, aber in meinen Träumen war ich immer
eine Frau; ich war nie ein Mann, der sich von einem
anderen Mann lieben ließ.« In Robertas Anspielungen auf Homosexualität war mehr
als eine Spur von Widerwillen, und Garp fand es eigenartig, dass Menschen, die
dabei sind, eine Entscheidung zu treffen, die sie fest und für immer in eine
Minderheit verpflanzt, andere Minderheiten vermutlich weniger tolerieren, als
wir uns vorstellen. Roberta konnte sogar richtig bösartig werden, wenn sie sich
über die anderen unglücklichen Frauen beschwerte, die nach Dog’s Head Harbor
kamen, um sich bei Jenny Fields zu erholen. »Diese verdammten Lesben«, [526] sagte
Roberta zu Garp. »Sie versuchen, aus deiner Mutter etwas zu machen, was sie
nicht ist.«
»Manchmal glaube ich, dass Mom
genau dazu da ist«, zog Garp Roberta auf. »Sie macht Menschen glücklich, indem
sie sie denken lässt, sie sei etwas, das sie nicht ist.«
»Aber sie haben versucht, mich
durcheinanderzubringen«, sagte Roberta. »Als ich mich auf meine Operation
vorbereitete, versuchten sie dauernd, mich davon abzubringen. ›Sei doch einfach
schwul‹, sagten sie. ›Wenn du Männer haben willst, nimm sie so, wie du bist.
Wenn du eine Frau wirst, wird man dich nur ausnutzen‹, sagten sie zu mir. Sie
waren allesamt Feiglinge«, schloss Roberta, obwohl Garp zu seinem Kummer
wusste, dass Roberta ausgenutzt worden war, immer
wieder.
Robertas Ungestüm war keine
Ausnahme; Garp sann darüber nach, dass jene anderen Frauen im Haus seiner
Mutter und in ihrer Obhut alle Opfer der Intoleranz
gewesen waren – und trotzdem schienen die meisten von denen, die er
kennengelernt hatte, besonders intolerant zueinander zu sein. Es war eine Art
Nahkampf, der Garp sinnlos vorkam, und er staunte über seine Mutter, die sie
alle sortierte und dafür sorgte, dass sie glücklich waren und sich nicht in die
Haare gerieten. Robert Muldoon, das wusste Garp,
hatte vor seiner eigentlichen Operation mehrere Monate lang Fummel getragen. Er
pflegte morgens als Robert Muldoon gekleidet loszugehen; er ging Frauensachen
einkaufen, und fast kein Mensch wusste, dass er sein neues Geschlecht mit den
Banketthonoraren bezahlte, die er für seine Reden in Jungenvereinen und
Männervereinen bekam. Abends, in Dog’s Head Harbor, führte Robert [527] Muldoon
Jenny und den kritischen Frauen, die bei ihr wohnten, seine neuen Sachen vor.
Als die Östrogenhormone seine Brüste zu vergrößern begannen und die Figur des
ehemaligen Linksaußen rundeten, gab Robert die Bankette auf und verließ das
Haus in Dog’s Head Harbor mit maskulinen Damenkostümen und ziemlich
konservativen Perücken; lange vor seinem Eingriff versuchte er, Roberta zu sein. Klinisch hatte Roberta jetzt die gleichen Genitalien
und die gleichen urologischen Merkmale wie die meisten anderen Frauen. »Aber
ich kann natürlich nicht empfangen«, erklärte sie Garp. »Ich habe keinen
Eisprung und keine Menstruation.« Das haben Millionen anderer Frauen auch
nicht, hatte Jenny Fields sie beruhigt. »Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause
kam«, sagte Roberta zu Garp, »weißt du, was deine Mutter da noch zu mir gesagt hat?«
Garp schüttelte den Kopf; »nach
Hause«, das wusste Garp, bedeutete für Roberta das Haus in Dog’s Head Harbor.
»Sie hat zu mir gesagt, ich sei
sexuell weniger ambivalent als die meisten Leute, die sie kenne«, sagte
Roberta. »Das hat mir gutgetan«, sagte sie, »weil ich
Weitere Kostenlose Bücher