Garp und wie er die Welt sah
wüssten sie die einfachsten
Worte für die Dinge nicht, die sie jeden Tag sahen.
»Sie haben kein Recht, das mit
mir zu machen«, sagte Hope.
[562] »Scheiße«, sagte Oren. Er trat
voll auf die Bremse, wodurch sie gegen das harte Armaturenbrett des
Lieferwagens geschleudert wurde. Ihre Stirn prallte von der Windschutzscheibe
ab, ihre Nase prallte gegen ihren Handrücken. Sie fühlte in ihrer Brust
irgendetwas reißen, einen kleinen Muskel oder einen sehr dünnen Knochen. Dann
gab er Vollgas und warf sie in den Sitz zurück. »Leg dich nicht mit mir an«,
sagte er.
Ihre Nase blutete; sie saß mit
hängendem, in die Hände gestütztem Kopf da, und das Blut tropfte auf ihre
Schenkel. Sie schniefte ein wenig; das Blut lief ihr über die Oberlippe und
überzog ihre Zähne mit einem Film. Sie neigte den Kopf nach hinten, so dass sie
das Blut schmecken konnte. Aus irgendeinem Grund beruhigte es sie – es half ihr
nachzudenken. Sie wusste, dass auf ihrer Stirn eine schnell blau werdende Beule
war, die unter ihrer glatten Haut anschwoll. Als sie sich mit der Hand ans
Gesicht fuhr und den Höcker betastete, sah Oren Rath sie an und lachte. Sie
spuckte ihn an – mit dünnem, blutdurchzogenem Schleim. Er traf seine Wange und
lief zu dem Kragen des Flanellhemds ihres Mannes hinunter. Orens Hand, flach
und breit wie eine Stiefelsohle, griff nach ihren Haaren. Sie packte mit beiden
Händen seinen Unterarm, sie riss sein Handgelenk an ihren Mund und biss in die
weiche haarlose Stelle, wo die blauen Adern das Blut transportieren.
Sie wollte ihn auf diese
unmögliche Weise töten, aber sie hatte kaum die Zeit, seine Haut aufzubeißen.
Sein Arm war so kräftig, dass er sie mit einem Ruck zu sich zerrte und schräg
über seine Knie zog. Er stieß ihren Nacken gegen das Steuer – die Hupe dröhnte
durch ihren Schädel – und [563] brach ihr mit dem linken Daumenballen das Nasenbein.
Dann legte er diese Hand wieder ans Steuer. Er hatte ihren Kopf jetzt in der
rechten Hand und drückte ihr Gesicht an seinen Bauch; als er merkte, dass sie
sich nicht wehrte, legte er ihren Kopf auf seinen Oberschenkel. Seine Hand
ruhte auf ihrem Ohr, als wollte er den Klang der Hupe in ihr festhalten. Sie
hielt die Augen gegen die Schmerzen in der Nase geschlossen.
Er bog mehrere Male links ab,
dann ein paarmal rechts. Jedes Abbiegen, das wusste sie, bedeutete, dass sie
wieder eine Meile zurückgelegt hatten. Seine Hand lag jetzt auf ihrem Nacken.
Sie konnte wieder hören, und sie fühlte, wie seine Finger sich in ihr Haar
wühlten. Ihr Gesicht fühlte sich taub an.
»Ich möchte dich gar nicht
töten«, sagte er.
»Dann lassen Sie es doch«, sagte Hope.
»Ich muss es aber«, erklärte er ihr. »Wenn wir es gemacht haben, muss ich es tun.«
Das traf sie wie der Geschmack
ihres eigenen Blutes. Sie wusste, dass er nicht mit sich reden ließ. Sie sah,
dass sie eine Runde verloren hatte: ihre Vergewaltigung. Er würde es mit ihr
machen. Sie musste berücksichtigen, dass es geschehen würde. Worauf es jetzt
ankam, war, dass sie überlebte; sie wusste, das
bedeutete, dass sie ihn überleben musste. Das bedeutete, dass er erwischt oder
getötet werden musste oder dass sie ihn töten musste.
An ihrer Wange fühlte sie das
Kleingeld in seiner Tasche; seine Bluejeans waren weich und klebrig von
Farmdreck und Schmieröl. Seine Gürtelschnalle grub sich in ihre Stirn; ihre
Lippen berührten das ölige Leder seines Gürtels. Das [564] Fischermesser, sie
wusste es, steckte in einer Scheide. Aber wo war die Scheide? Sie konnte sie
nicht sehen; sie wagte nicht, mit den Händen danach zu tasten. Plötzlich fühlte
sie an ihrem Auge seinen Penis steif werden. Da fühlte sie sich – zum ersten
Mal – wie gelähmt, so geängstigt, dass sie sich nicht mehr zu helfen wusste,
nicht mehr fähig war, die Prioritäten zu sortieren. Wieder half ihr Oren Rath.
»Betrachten Sie es einmal so«,
sagte er. »Dein Junge ist davongekommen. Ich wollte den Jungen nämlich auch
töten, weißt du.«
Die Logik seiner besonderen Art
des gesunden Menschenverstands schärfte Hopes Sinne; sie hörte die anderen
Autos. Es waren nicht viele, aber alle paar Minuten wurden sie von einem
überholt. Sie wünschte, sie könnte nach draußen sehen, aber sie wusste, dass
sie nicht mehr so isoliert waren wie vorher. Jetzt, dachte sie, ehe er dorthin gelangt, wohin wir fahren – falls er wirklich weiß,
wohin wir fahren. Sie nahm an, dass er es wusste. Jedenfalls ehe er von
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