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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ausgewachsene Sau keuchend auf der [559]  Seite;
neben dem Schwein standen zwei Männer, die für Hope so aussahen, als
entstammten sie derselben Mutation, die Oren Rath hervorgebracht hatte.
    »Ich brauche den schwarzen Wagen,
jetzt gleich«, sagte Oren zu ihnen. »Dieser hier wird gesucht.« Mit einem
selbstverständlichen Messerhieb durchschnitt er den Büstenhalter, der Hopes
Handgelenke an das Handschuhfach fesselte.
    »Scheiße«, sagte einer der
Männer.
    Der andere Mann zuckte mit den
Schultern; er hatte einen roten Fleck im Gesicht – eine Art Muttermal, rot und
rubbelig wie eine Himbeere. Seine Familie hatte ihm danach seinen Spitznamen
gegeben: Raspberry. Raspberry Rath. Zum Glück wusste Hope das nicht.
    Sie hatten Oren oder Hope nicht
angesehen. Die keuchende Sau brach die Stille im Hof mit einem prustenden Furz.
»Scheiße, jetzt geht’s wieder los«, sagte der Mann ohne Muttermal; bis auf
seine Augen war sein Gesicht mehr oder weniger
normal. Er hieß Weldon.
    Raspberry Rath las das Etikett
einer braunen Flasche, die er der Sau wie einen Drink hinhielt: »›Kann
exzessive Gase und Flatulenz hervorrufen‹, steht drauf.«
    »Wie kann man bloß so ein Schwein züchten«, sagte Weldon.
    »Ich brauche den schwarzen
Wagen«, sagte Oren.
    »Gut, Oren, der Schlüssel steckt.
Meinst du, du schaffst es allein?«
    Oren Rath schubste Hope zu dem
schwarzen Lieferwagen. Raspberry hatte die Flasche mit Schweinemedizin in der
Hand und starrte Hope an, als sie zu ihm sagte: »Er [560]  hat mich entführt. Er
will mich vergewaltigen. Die Polizei sucht ihn bereits.«
    Raspberry Rath starrte Hope
weiter an, aber Weldon wandte sich Oren zu: »Ich hoffe, du machst keinen
Blödsinn.«
    »Nein, nein«, sagte Oren. Dann
wandten die Männer ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem Schwein zu.
    »Ich warte jetzt eine Stunde und
mache ihr dann noch einen Einlauf«, sagte Raspberry. »Der verdammte Tierarzt
ist diese Woche schon oft genug da gewesen.« Er kratzte den schmutzstarrenden
Nacken der Sau mit seiner Stiefelspitze; die Sau furzte.
    Oren führte Hope hinter die
Scheune, wo der Mais aus dem Silo quoll. Ein paar Ferkel, kaum größer als junge
Katzen, spielten darin. Sie stoben davon, als Oren den schwarzen Lieferwagen
anließ. Hope fing an zu weinen.
    »Lassen Sie mich dann gehen?«,
fragte sie Oren.
    »Ich habe dich noch nicht
gehabt«, sagte er.
    Hopes bloße Füße waren kalt und
mit schwarzem Frühjahrsschlamm bedeckt. »Meine Füße tun mir weh«, sagte sie.
»Wohin fahren wir?«
    Sie hatte hinten in dem
Lieferwagen eine alte, verfilzte Wolldecke voller Häcksel gesehen. Dahin, stellte sie sich vor, würde er sie fahren: auf die
Maisfelder. Er würde sie auf den aufgeweichten Frühjahrsboden werfen – und wenn
es vorbei war und er ihr die Kehle mit dem Fischermesser durchgeschnitten und
ihr den Bauch aufgeschlitzt hatte, würde er sie in die Wolldecke wickeln, die
steif und klumpig auf dem Boden des Lieferwagens lag, als bedecke sie irgendein
totgeborenes Tier.
    [561]  »Ich muss einen guten Platz
finden, wo ich dich haben kann«, sagte Oren Rath.
»Ich hätte es lieber zu Hause gemacht, aber dann hätte ich dich teilen müssen.«
    Hope Standish versuchte, sich den
fremdartigen Charakter Oren Raths vorzustellen. Er funktionierte nicht wie die menschlichen Wesen, die sie gewohnt war.
    »Was Sie tun, ist nicht richtig«,
sagte sie.
    »Nein, ist es nicht«, sagte er.
»Isses nicht.«
    »Sie wollen mich vergewaltigen«,
sagte Hope. »Das ist nicht richtig.«
    »Ich will dich einfach haben «, sagte er. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht,
sie wieder an das Handschuhfach zu fesseln. Sie konnte nirgendwohin laufen. Sie
fuhren immer nur eine Meile auf jedem Landstraßenabschnitt, sie fuhren langsam,
in kleinen Quadraten, nach Westen, wie ein Springer auf einem Schachbrett
vorrückt, ein Feld vorwärts, zwei zur Seite, eins zur Seite, zwei vorwärts. Es
kam Hope ziellos vor, aber dann fragte sie sich, ob er die Straßen vielleicht
so gut kannte, dass er eine größere Strecke zurücklegen konnte, ohne je durch
eine Ortschaft zu fahren. Sie sah nur die Wegweiser zu Ortschaften, und obwohl
sie sich nicht mehr als fünfzig Kilometer von der Universität entfernt haben
konnten, erkannte sie keinen der Namen wieder: Coldwater, Hills, Fields,
Plainview. Vielleicht sind es keine Ortschaften,
dachte sie, sondern nur primitive Bezeichnungen für die Einheimischen, die hier
lebten, zur Identifizierung der Landschaft – als

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