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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu beruhigen: Keine Sorge –
was soll’s, wenn es kein Leben nach dem Tod gibt? Es gibt ein Leben nach Garp,
glaub mir. Selbst wenn es nur einen Tod nach dem anderen (und wieder anderen)
gibt, sei dankbar für kleine Lichtblicke – manchmal gibt es zum Beispiel eine
Geburt nach Sex. Und wenn du sehr viel Glück hast, gibt es manchmal Sex nach
einer Geburt! O ja, dats tstimmt, wie Alice Fletcher sagen würde. Und wenn
Leben in dir ist, sagten Garps Augen, besteht Hoffnung, dass Energie in dir
sein wird. Und vergiss nie, Helen, es gibt die Erinnerung, sagten ihr seine
Augen.
    »In der Welt, so wie Garp sie
sah«, sollte der junge Donald Whitcomb schreiben, »sind wir gehalten, uns an
alles zu erinnern.«
    Garp starb, ehe man ihn aus dem
Ringerraum tragen konnte. Er war dreiunddreißig, genauso alt wie Helen. Ellen
James war gerade zwanzig. Duncan dreizehn. Die kleine Jenny Garp würde bald
drei werden. Walt wäre jetzt acht gewesen.
    [794]  Die Nachricht von Garps
Tod beförderte den sofortigen Druck einer dritten und vierten Auflage des
Vater-und-Sohn-Buches Die Pension Grillparzer . Ein
langes Wochenende trank John Wolf zu viel und überlegte, sich aus dem
Verlagsgeschäft zurückzuziehen; manchmal wurde ihm speiübel, wenn er sah, wie
ein gewaltsamer Tod das Geschäft förderte. Aber es tröstete Wolf zu wissen, wie
Garp die Nachricht aufgenommen hätte. Nicht einmal Garp hätte sich vorstellen
können, dass sein Tod seine literarische Seriosität und seinen Ruhm noch besser etablieren sollte als ein Selbstmord. Nicht
schlecht für jemanden, der mit dreiunddreißig eine gute Kurzgeschichte und
vielleicht anderthalb gute Romane – von dreien – geschrieben hatte. Garps
ungewöhnliche Todesart war sogar so perfekt, dass John Wolf lächeln musste, als
er sich vorstellte, wie Garp sich darüber gefreut hätte. Es war ein Tod, dachte
Wolf, der mit seiner willkürlichen, dummen und überflüssigen – seiner komischen
und hässlichen und bizarren – Art alles untermauerte, was Garp je darüber
geschrieben hatte, wie die Welt funktioniert. Es war eine Sterbeszene, sagte
John Wolf zu Jillsy Sloper, wie sie nur Garp hätte schreiben können.
    Später rutschte Helen einmal die
bittere Bemerkung heraus, dass Garps Tod im Grunde genommen doch so etwas wie
Selbstmord gewesen sei. »In dem Sinn, dass sein ganzes Leben Selbstmord war«, sagte sie geheimnisvoll. Noch später erläuterte sie, damit
habe sie nur gemeint, »dass er die Leute zu sehr gegen sich aufbrachte«.
    Er hatte Pu Percy gegen sich
aufgebracht; so viel stand fest.
    Andere brachte er dazu, dass sie
ihm – geringen oder [795]  seltsamen – Tribut zollten. Dem Friedhof der Steering
School wurde die Ehre zuteil, seinen Grabstein aufzunehmen, wenn auch nicht
seine sterblichen Überreste; wie seine Mutter hatte auch Garp seinen Leichnam
der Medizin vermacht. Die Steering School beschloss außerdem, ihn zu ehren,
indem sie eines ihrer restlichen Gebäude, das noch nicht nach jemandem benannt
war, nach ihm benannte. Es war die Idee des alten Rektor Bodger. Wenn es ein
Jenny-Fields-Haus gebe, die Krankenstation, argumentierte der gute Rektor, dann
solle das Nebengebäude der Krankenstation in Zukunft Garp-Annex heißen.
    In späteren Jahren sollte sich
die Funktion dieser Gebäude leicht ändern, obwohl sie ihren Namen, Fields-Haus
und Garp-Annex, beibehielten. Das Fields-Haus sollte eines Tages der alte
Flügel des neuen Krankenhauses von Steering werden, der Garp-Annex ein
vorwiegend zu Lagerzwecken benutztes Gebäude – eine Art Vorratsspeicher für
Klinik-, Küchen- und Unterrichtsmaterial. Garp hätte die Vorstellung
wahrscheinlich gefallen, dass ein Speicher seinen Namen trug. Er schrieb
einmal, ein Roman sei »nur ein Platz zum Speichern – all der wichtigen Dinge,
die ein Romancier im Leben nicht benutzen kann«.
    Ihm hätte auch die Vorstellung
eines Epilogs gefallen – hier ist er also: ein Epilog, »um uns vor der Zukunft
zu warnen«, wie T.S. Garp ihn sich vielleicht ausgedacht hätte.
    Alice und Harrison Fletcher
blieben verheiratet, durch dick und dünn – ihre Ehe hielt nicht zuletzt
deshalb, weil Alice Schwierigkeiten hatte, mit irgendetwas Schluss zu machen.
Ihr einziges Kind, eine Tochter, spielte Cello, jenes große, [796]  sperrige
Instrument mit der seidigen Stimme, und zwar auf so anmutige Weise, dass die
reinen tiefen Klänge Alices Sprachfehler nach jedem Konzert stundenlang
verschlimmerten. Harrison, der kurz darauf eine Professur

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