Garp und wie er die Welt sah
bekam und behielt,
überwand seine Neigung zu seinen hübscheren Studentinnen ungefähr zu der Zeit,
als seine begabte Tochter sich als ernsthafte Musikerin durchzusetzen begann.
Alice, die ihren zweiten Roman
ebenso wenig je beendete wie ihren dritten oder vierten, bekam auch nie ein
zweites Kind. Sie blieb geschmeidig-flüssig im Schriftlichen und
selbstquälerisch-unentschlossen im Körperlichen. Alice verliebte sich nie
wieder in dem Maß in »andere Männer«, wie sie sich in Garp verliebt hatte;
selbst in ihrer Erinnerung blieb er eine übermächtige Leidenschaft, die sie
davon abhielt, Helen je näherzukommen. Und Harrys alte Zuneigung zu Helen
schien sich mit jeder seiner flüchtigen Affären weiter zu verflüchtigen, bis
die Fletchers die überlebenden Garps kaum noch im Auge behielten.
Einmal traf Duncan Garp die
Tochter der Fletchers in New York, nach ihrem ersten Soloauftritt mit dem Cello
in jener gefährlichen Stadt; Duncan ging mit ihr essen.
»Sieht er seiner Mutter
ähnlich?«, fragte Harrison das Mädchen.
»Ich kann mich nicht besonders
gut an sie erinnern«, sagte die Tochter.
»Hat er dir Avantsen gemacht?«, fragte Alice.
»Ich glaube nicht«, sagte ihre Tochter, deren erster und innigst geliebter Partner immer
jenes breithüftige Cello bleiben sollte.
[797] Die Fletchers, Harry wie auch
Alice, sollten in den besten Jahren unterwegs nach Martinique, wo sie ihren
Weihnachtsurlaub verbringen wollten, mit dem Flugzeug abstürzen. Eine von
Harrisons Studentinnen hatte sie zum Flughafen gefahren.
»Wenn man in Neuengland lebt«,
vertraute Alice der Studentin an, »ist man tsich einen Urlaub in der Tsonne schuldig. Nicht wahr, Harritson?«
Helen hatte immer gefunden, dass
Alice »ein bisschen gaga« sei.
Helen Holm, die meiste Zeit
ihres Lebens als Helen Garp bekannt, war ein langes, sehr langes Leben
beschieden. Helen, eine schlanke, dunkelhaarige Frau mit aparten Gesichtszügen
und präziser Ausdrucksweise, sollte sich Liebhaber nehmen, aber nie wieder
heiraten. Jeder Liebhaber litt unter Garps Anwesenheit – nicht nur in Helens
lückenloser Erinnerung, sondern auch in den konkreten Dingen, mit denen Helen
sich in ihrem Haus in Steering, das sie kaum je verließ, umgab: da waren zum
Beispiel Garps Bücher und alle Fotografien, die Duncan von ihm gemacht hatte,
und sogar Garps Ringertrophäen.
Helen sagte immer wieder, sie
könne Garp nie verzeihen, dass er so jung gestorben sei und sie gezwungen habe,
einen so großen Teil ihres Lebens allein zu sein – und außerdem habe er sie so
verwöhnt, waren ihre Worte, dass sie nie ernsthaft die Möglichkeit in Betracht
ziehen werde, mit einem anderen Mann zusammenzuleben.
Helen wurde eine der
angesehensten Lehrkräfte, die die Steering School je gehabt hatte, obwohl sie
ihre [798] sarkastische Einstellung zu der Schule nie aufgab. Sie hatte dort
einige Freunde, aber nur wenige: den alten Rektor Bodger, bis er starb, und den
jungen Forscher Donald Whitcomb, der Helen so verfallen sollte, wie er Garps
Werk verfallen war. Außerdem war da noch eine Frau, eine Bildhauerin, eine
Künstlerin mit Wohnrecht – Roberta hatte Helen mit ihr bekannt gemacht.
John Wolf war ein lebenslanger
Freund, dem Helen stückweise, aber nie ganz, den Erfolg vergab, den er hatte,
als er Garp zu einem Erfolg machte. Helen und Roberta blieben sich ebenfalls
nahe – Helen begleitete Roberta gelegentlich bei einem ihrer berühmten
Zwischenspiele nach New York. Je älter und exzentrischer die beiden wurden,
desto gnadenloser kommandierten sie die Fields Foundation herum, und das über
viele Jahre. Ihre geistreichen Kommentare zum Tagesgeschehen wurden in Dog’s
Head Harbor fast so etwas wie eine Touristenattraktion; von Zeit zu Zeit, wenn
Helen einsam war oder sich in Steering langweilte – nachdem ihre erwachsenen
Kinder aus dem Haus waren –, zog sie ein paar Tage zu Roberta in Jenny Fields’
altes Haus. Dort war immer etwas los. Als Roberta starb, schien Helen um
zwanzig Jahre zu altern.
Sehr spät im Leben – und erst
nachdem sie Duncan gegenüber geklagt hatte, dass sie alle ihre liebsten
Zeitgenossen überlebt habe – wurde Helen Holm plötzlich von einem körperlichen
Leiden befallen, das die Schleimhäute angriff. Sie sollte im Schlaf sterben.
Sie hatte es geschafft, viele
zynische Biographen zu überleben, die auf ihren Tod warteten, damit sie sich
auf Garps sämtliche Hinterlassenschaften stürzen konnten. Sie hatte [799] seine
Briefe, das
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