Garp und wie er die Welt sah
dass er
dort Garp entdeckt hatte, kurz bevor Garp starb, und es war auch sein großes
Glück, dass Helen sich [802] mit ihm anfreundete und ihn bemutterte. Sie traute
ihm zu, dass er ihren Mann womöglich noch kritikloser anbetete als sie.
Der arme Whitcomb würde immer
»der junge Whitcomb« genannt werden, auch wenn er nicht ewig jung blieb. Ihm
wuchs kein richtiger Bart im Gesicht, und seine Wangen blieben stets rosig –
unter seinen braunen, seinen grauen, seinen zuletzt schlohweißen Haaren. Wenn
er sprach, würde es immer ein eifriges Stammeln sein, und seine Hände würden
immer miteinander ringen. Aber ihm und keinem anderen sollte Helen die
Zeugnisse der Familie und des schriftstellerischen Schaffens von Garp
anvertrauen.
Er wurde Garps Biograph. Helen
las alles bis auf das letzte Kapitel, mit dem Whitcomb jahrelang wartete: Es war
das Kapitel, das ihr Lob sang. Whitcomb war der Garp-Forscher, die höchste Garp-Autorität. Er besaß die Demut, die ihn zum
Biographen prädestinierte, scherzte Duncan immer. Vom Standpunkt der Familie
Garp war er ein guter Biograph; Whitcomb glaubte alles, was Helen ihm erzählte,
er glaubte jede Notiz, die Garp hinterlassen hatte – oder jede Notiz, von der
Helen ihm erzählte, dass Garp sie hinterlassen habe.
»Das Leben«, schrieb Garp, »ist
leider nicht so gebaut wie ein guter altmodischer
Roman. Vielmehr endet es, wenn sich diejenigen, die sich erschöpfen sollen,
erschöpft haben. Alles, was bleibt, ist die Erinnerung. Aber selbst ein
Nihilist hat Erinnerungen.«
Whitcomb liebte Garp sogar in
seinen schrulligsten und prätentiösesten Augenblicken.
[803] Unter Garps Sachen fand Helen
folgende Mitteilung:
»Was auch immer meine letzten
Scheißworte waren, sag bitte, es seien diese gewesen: ›Ich habe immer gewusst,
dass das Streben nach Vortrefflichkeit eine tödliche Angewohnheit ist.‹«
Donald Whitcomb, der Garp absolut
unkritisch liebte – so wie Hunde und Kinder lieben –, sagte, dies seien
tatsächlich Garps letzte Worte gewesen.
»Wenn Whitcomb es sagt, dann
waren sie es«, sagte Duncan immer.
Jenny Garp und Ellen James – auch
sie waren damit einverstanden.
Es war
eine Familienpflicht – Garp vor den Biographen zu bewahren,
schrieb Ellen James.
»Und warum nicht?«, fragte Jenny
Garp. »Was schuldet er der Öffentlichkeit ? Er sagte
immer, er sei nur für andere Künstler dankbar, und den Leuten, die ihn liebten. «
Wer sonst
verdient es also, jetzt ein Stück von ihm zu haben?,
schrieb Ellen James.
Donald Whitcomb erfüllte sogar
Helens letzte Bitte. Obwohl Helen alt war, kam ihre letzte Krankheit plötzlich,
und ausgerechnet Whitcomb verteidigte den Wunsch, den sie auf dem Sterbebett
äußerte. Helen wollte nicht auf dem Schulfriedhof von Steering begraben werden,
neben Garp [804] und Jenny und ihrem Vater und Fat Stew – und all den anderen. Sie
sagte, der Gemeinde friedhof reiche ihr völlig. Sie
wollte auch nicht der Medizin dienen; da sie so alt sei, sei sie überzeugt,
dass von ihrem Körper wenig übrigbleiben werde, das irgendjemandem von Nutzen
sein könne. Sie wolle eingeäschert werden, erklärte sie Whitcomb, und ihre
Asche solle in den Besitz von Duncan und Jenny Garp und Ellen James übergehen.
Nach der Beisetzung eines Teils der Asche könnten sie mit dem Rest tun und
lassen, was sie wollten, solange sie sie nirgends auf
dem Gelände der Steering School verstreuten. Sie wolle verdammt sein, sagte
Helen zu Whitcomb, wenn die Steering School, die keine Mädchen zugelassen habe,
als sie noch ein Mädchen gewesen sei, jetzt irgendeinen Teil von ihr bekomme.
Der Grabstein auf dem Gemeindefriedhof, erklärte sie Whitcomb, solle einfach
die Inschrift bekommen, sie sei Helen Holm, die Tochter des Ringertrainers
Ernie Holm, und habe die Steering School nicht besuchen dürfen, weil sie ein
Mädchen gewesen sei; außerdem sei sie die liebende Ehefrau des Schriftstellers
T.S. Garp gewesen, dessen Grabstein jeder auf dem Schulfriedhof der Steering
School sehen könne, weil er ein Junge gewesen sei.
Whitcomb erfüllte diesen Wunsch,
der Duncan besonders amüsierte.
» Das hätte Dad bestimmt gefallen!«, sagte Duncan immer wieder. »Mann, ich kann ihn
richtig hören!«
Und darauf, wie sehr Jenny Fields
Helens Entschluss begrüßt haben würde, wiesen Jenny Garp und Ellen James bei
jeder Gelegenheit hin.
[805] Ellen James sollte
Schriftstellerin werden, als sie erwachsen war. Sie hatte »das, worauf es
ankommt«, wie Garp
Weitere Kostenlose Bücher